WELTEN-NEBEL
seine Eltern hatten ihn zweisprachig erzogen. Daher entfiel zumindest dieser Teil der Reisevorbereitungen. Dennoch gab es genug für ihn zu lernen. Seine Mutter machte ihn mit jeder Kleinigkeit der cytrianischen Alltagskultur vertraut, mit dem Regierungssystem, mit der Geschichte und der Geographie. Obgleich sie ihr Heimatland in den letzten fünfzehn Jahren nur ein Mal besucht hatte, war sie gut informiert. Dies war auch nicht weiter verwunderlich, denn auf jedem Handelsschiff, das Cytria ansteuerte, reiste ein helwarischer Beamter mit, dessen Aufgabe es war, der Königin nach seiner Rückkehr ausführlich Bericht zu erstatten.
Viel interessanter als die Fakten aber war das, was seine Mutter über sich selbst preisgab, wenn sie von Cytria erzählte. Btol erfuhr Dinge über ihre Jugend, ihr Leben, bevor sie nach Helwa gekommen war. In groben Zügen war ihm ihre Lebensgeschichte bekannt gewesen, doch hatte er sich bisher nie die Mühe gemacht, genauer nachzufragen und Persönliches herauszuhören. Daher hatte es ihn erstaunt, was er in den knapp drei Monden alles über seine Mutter erfahren hatte. Dass sie eine kluge und gelehrte Frau war, hatte er gewusst, doch wie beschwerlich und voller Hindernisse ihr Lebensweg gewesen war, war ihm bis dahin nicht klar gewesen. Sie hatte sich jahrelang als Junge ausgeben müssen, um den Weg eines Gelehrten einschlagen zu können. Btol war erst jetzt klar geworden, wie viel Stärke dieser Schritt erfordert haben musste. Als sie dann nach Jahren die Verkleidung abgelegt hatte, so war dies unter schwierigen Umständen geschehen, die alleine schon gereicht hätten, den Lebenswillen eines Menschen zu brechen. Doch obgleich sie im Glauben, die Liebe ihres Lebens, Elec, verloren zu haben, gewesen war, hatte sie zu sich selbst gefunden. Er kannte niemanden, der an einer solchen Herausforderung nicht zerbrochen wäre. Ihre innere Stärke war wirklich erstaunlich.
Obwohl er seine Mutter seit fast sechzehn Jahren kannte, hatte er sie erst in den letzten Monden wirklich kennengelernt. Je mehr er erfahren hatte, desto größer war seine Bewunderung geworden. Er wünschte sich, ein Stück ihrer Stärke und Klugheit auch in sich zu tragen.
Noch etwas war ihm klar geworden: wie sehr seine Mutter ihn liebte und wie sie sich deshalb um ihn sorgte. Sie hatte nicht nachgelassen, die Gründe für sein Eindringen in die Wüste zu untersuchen. Sie hatte ihm die Schilderung jenes unheimlichen Sogs geglaubt und ihre Nachforschungen darauf konzentriert. Obwohl er ihr kaum mehr dazu sagen konnte, als das, was er bei seiner Rückkehr berichtet hatte, wurde sie nicht müde, ihn immer wieder danach zu befragen. Einen anderen Ansatzpunkt hatte sie ohnehin nicht. Zusätzlich hatte sie sich mit Angehörigen des Wüstenvolkes ausgetauscht, denn niemand kannte die Wüste so gut wie jene Stämme, die ihre Randgebiete schon seit Urzeiten bewohnten und die sie regelmäßig durchquerten. Doch auch diese konnten ihr keine Hinweise auf den Ursprung jenes gefährlichen Phänomens geben. Das Einzige, was sich gezeigt hatte, war, dass nur Btol etwas Derartiges widerfahren war.
Die Verbissenheit, mit der Madia dieses Thema verfolgte, hatte ihm deutlich gezeigt, wie groß ihre Sorge um ihn war. Gerne hätte er etwas gesagt oder getan, um sie zu beruhigen, doch dies war ihm unmöglich. Er konnte sie nicht belügen, ihr nicht sagen, dies alles eine Einbildung gewesen war, denn das war es nicht; die letzten Monde hatten dies deutlich gezeigt: Immer wieder spürte er etwas in seinem Geist. Zwar war es kein Sog zu einem bestimmten Ort, sondern nur das diffuse Gefühl einer Präsenz, die seine Aufmerksamkeit zu erlangen suchte, doch er konnte nicht leugnen, dass etwas Fremdes noch immer Zugang zu seinem Geist hatte. Wann immer er jene Präsenz verspürte, versuchte er dagegen anzukämpfen und sie aus seinen Gedanken zu verdrängen. Dies gelang ihm auch stets.
Dennoch konnte er seiner Mutter nicht davon erzählen, zu sehr würde dies ihre Ängste schüren. Er würde allein damit fertig werden müssen. Vielleicht war es hilfreich, Helwa zu verlassen.
Vor seiner Abreise gab es jedoch noch etwas zu erledigen. Er griff zu Papier und Feder und begann, seinen Eltern einen Brief zu schreiben. Nur so würde es ihm gelingen, seinen Gefühlen so Ausdruck zu verleihen, wie seine Eltern es verdienten. Die fremde Präsenz in seinem Geist ließ ihn vermuten, dass seine Reise nicht wie geplant verlaufen würde; er war sich dessen fast
Weitere Kostenlose Bücher