WELTEN-NEBEL
auch die Beamten waren ihr treu ergeben.
Insgesamt umfasste sein Gefolge zwölf Männer: zwei Verwaltungsbeamte, die ohnehin regelmäßig durch Helwa reisten, einen Schreiber, acht Soldaten sowie einen Tierpfleger. Bewusst war auf einen persönlichen Diener für Btol verzichtet worden, Madia war der Meinung gewesen, dass es ihm guttun würde, wenn er sich um seine persönliches Wohl alleine kümmern musste. Und so kam es, dass er sowohl seine Kleidung alleine in Ordnung halten als auch die gleiche Verpflegung wie die Soldaten essen musste. Anfangs war es ihm schwergefallen, doch nun hatte er sich daran gewöhnt. Mehr litt er unter der Sonderstellung, die er innerhalb der Gruppe einnahm. Im Palast hatte er auch einen besonderen Status gehabt, doch dort hatte er dadurch auch gewisse Vorzüge genossen: mehrere Diener, erlesene Speisen und nahezu jeder begegnete ihm mit Respekt. Hier aber fehlte dieser Komfort, niemand buckelte vor ihm. Andererseits aber vergaßen sie seinen Status nie. Ein jeder hielt sich ihm gegenüber bedeckt und achtete auf seine Worte, er erfuhr nicht die gleiche Kameradschaft wie alle anderen.
Er musste sich eingestehen, dass er einsam war. Es hatte eine Weile gedauert, bis er dieses für ihn neue Gefühl hatte benennen können. Bisher war er sich stets selbst genug gewesen, nun aber fehlte ihm jemand, mit dem er sich über die neuen Eindrücke austauschen konnte. Endlich konnte er ansatzweise verstehen, was seine Mutter gemeint hatte, als sie ihm einmal von der Seelenverwandtschaft zwischen ihr und seinem Vater erzählt hatte und der daraus resultierenden Bereicherung für ihr Leben. Bisher hatte er eine engere Beziehung zu anderen Menschen stets für unwichtig und nutzlos gehalten, für eine Sentimentalität schwacher Menschen. Dass ihn nun selbst danach verlangte, ärgerte ihn insgeheim ein wenig. Schließlich war er nicht schwach. Er versuchte daher, sein Bedürfnis, so gut es ging, zu verdrängen. Ein kleines Abenteuer hätte ihm sicher dabei geholfen. Wenn er doch nur in die Wüste gehen dürfte. Doch seine Mutter hatte es strengstens untersagt. Sobald sie das Westspitzen-Gebirge erreicht hätten, würden sie ein Schiff besteigen und nach Heet zurücksegeln. In ungefähr zwei Monden wäre es dann mit seiner begrenzten Freiheit wieder vorbei.
Jahr 3636 Mond 10 Tag 6
Hort der Bewahrerin, Martul
Was war geschehen, wo war Btols Gefolge, wo die von Äckern geprägte Landschaft, an die sie sich so gewöhnt hatte? Ewen war verwirrt. Seit die Verbindung mit dem jungen Mann begonnen hatte, hatte sie nichts anderes erblickt als Sand und Leere. Er schien allein zu sein in dieser unwirtlichen Landschaft. Sorge beschlich sie. So wie sie ihn kannte, würde er sich wohl kaum in dieser lebensfeindlichen Umgebung zurechtfinden. Sie sandte ein Stoßgebet zu den Göttern, dass sie sie nicht erneut Zeugin eines Todes seien ließen. Wie war der Junge dort nur hingelangt? War es überhaupt noch in seinem Land?
Die letzte Verbindung zu ihm lag sechs Tage zurück. Damals war er noch mit seinem Gefolge unterwegs, sie hatten ein weiteres Bauerndorf besucht. Es war alles so gewesen, wie die vorangegangenen Male, nein, nicht ganz: Sie hatte eine Unruhe gespürt, die eindeutig von dem Jungen ausging. Auf sie hatte er fast so rastlos gewirkt, wie er es in seinem Heim gewesen war. Vielleicht war dies der Grund, warum er diesen Ort aufgesucht hatte? Aber warum waren seine Begleiter nicht mehr bei ihm? Hatte er sie bewusst zurückgelassen, war er vielleicht sogar vor ihnen davongelaufen? Zutrauen würde sie ihm dies, er war ein impulsiver, unbeherrschter Charakter.
Hoffentlich hatte er sich durch dieses Verhalten nicht in Gefahr gebracht. So sehr sie die unfreiwillige Verbundenheit mit diesem Jungen anfangs verabscheut hatte, inzwischen hatte sie sich an ihn gewöhnt, fand es bisweilen spannend, ihn zu beobachten. Manchmal war das Eindringen in seinen Geist eine willkommene Abwechslung zum täglichen Einerlei in ihrer Einsiedelei. Jetzt, da es Herbst war, war auch kein Besuch aus den Dörfern Martuls mehr zu erwarten. Ihr stand ein weiterer einsamer Winter bevor, die gelegentlichen Verbindungen zu Btol würden ihr sicher fehlen, wenn er jetzt umkäme. Auch wäre sicher nicht so leicht, einen so jungen Menschen aus dem Leben scheiden zu sehen, und, was noch schlimmer war, seine Qual dabei zu fühlen. Wenn sie ihm nur irgendwie helfen könnte?
Aber warum sollte sie das nicht können? Mit Wilka hatte sie
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