WELTEN-NEBEL
wer gemeint war, es war Btol gewesen. Er hatte im Tausend-Bäche-Dorf haltgemacht, bevor er zu ihr gekommen war. Sie musste die Zweifel gegen ihn irgendwie zerstreuen, sonst wäre es ihm unmöglich, sich frei durch Martul zu bewegen. Gerüchte reisten bisweilen schneller als der Wind. Daher sprach sie: „Zauberei? Mach dich nicht lächerlich, Agor. So etwas gibt es nicht, es ist nichts weiter als eine Ausgeburt der Fantasie. Ich werde mein Möglichstes tun, um den Dingen auf den Grund zu gehen. Sicher gibt es eine logische Erklärung für die Geschehnisse. Ich rate euch, in Ruhe eure Ernte einzubringen. Bis zur Aussaat im nächsten Frühjahr werde ich euch wissen lassen, was ich herausgefunden habe.“
Sie brauchte ihre Gabe nicht zu bemühen, um die Zweifel ihres Bruders zu erkennen. Dennoch gab er sich zufrieden. Er war nur ein Bote und würde der Gemeinschaft ausrichten, was sie gesagt hatte. Ihre Stellung veranlasste ihn, keine weiteren Fragen zu stellen.
Er hatte alles gehört. War es wirklich schon so schlimm, war der Einfluss des schwindenden Nebels für die Bürger Martuls schon spürbar? Wie lange würde es wohl dauern, bis sie bemerkten, was der Grund für ihre Missernte gewesen war? Was würde geschehen, wenn ihnen der volle Umfang der Veränderung bewusst werden würde? Schon jetzt hatten sie den Verdacht, dass er nicht unschuldig daran war. Dieses Mal hatte er Glück gehabt, dass er sich hatte verbergen können, doch wäre ihm dies weitere Male vergönnt? Wie war es überhaupt möglich gewesen? Auf einen bloßen Gedanken hin war er von einem Nebel eingehüllt worden, der ihn gänzlich unsichtbar machte. Er musste wohl den Göttern für dieses Wunder danken. Wer wusste schon, was dieser Agor mit ihm gemacht hätte, wenn er seiner ansichtig geworden wäre. Sicher hätte er ihn als eben jenen Fremden identifiziert, der vor etwas mehr als zwei Monden durch sein Dorf gekommen war.
Der Besucher war außer Sichtweite, er konnte sich also wieder zeigen. Völlig mühelos gelang es ihm, den Nebel, der ihn umgab, aufzulösen. Es überraschte ihn, wie sehr diese Erscheinung doch seinem Willen unterworfen zu seien schien. Doch das war sicher nur ein Trugschluss. Unmöglich konnte es sein Werk gewesen sein. Oder etwa doch?
Ewen hatte sich zu ihm umgewandt. Ihre Überraschung war noch immer nicht verflogen. „Wie hast du das gemacht?“
„ Ich glaube nicht, dass ich es war. Wie könnte ich? Die Götter haben mir ihre Gunst erwiesen. Wahrscheinlich spürten sie, dass Agor mir nicht freundlich gesonnen war.“
„ Das wäre aber ein sonderbarer Weg der Götter. Warum sollten sie ausgerechnet Nebel nutzen, um dich zu verbergen. Sie sahen Agor nahen, sie hätten dich auch einfach warnen können. Nein, ich glaube, der Nebel entsprang aus dir.“
Es war einfach zu absurd, doch ihre Worte entbehrten nicht einer gewissen Logik. Es gab nur einen Weg, es herauszufinden. Er konzentrierte seine Gedanken darauf, sich zu verbergen. Wirklich, ein Nebel stieg auf, hüllte ihn ein. Es funktionierte tatsächlich. Er ließ den Nebel verschwinden und sah Ewen an. Ihm fehlten die Worte. Wie war das möglich? Seine Verwirrung war so groß, dass er keinen klaren Gedanken fassen konnte. Er war Ewen dankbar für ihr Schweigen. Ohne auch nur ein Wort darüber zu verlieren, gingen sie in die Höhle der Bücher. Er setzte sich einfach auf den Boden und beobachtete Ewen dabei, wie sie scheinbar wahllos Bücher herauszog, darin blätterte und sie zurückstellte. Sie schien ebenso ratlos zu sein wie er.
Sie sagte nichts. Sie wusste, wie er sich jetzt fühlte. Sie hatte selbst erlebt, wie schwer es war, mit seinen eigenen übernatürlichen Gaben konfrontiert zu sein. Sie hatte Wilka gehabt, die ihr geholfen hatte, ihr Talent zu verstehen und zu beherrschen. Wenn sie Btol bloß auch irgendwie helfen könnte. Doch selbst wenn eines ihrer Bücher einen Anhaltspunkt enthielt, wie sollte sie ihn finden. Sie hatte nicht unbegrenzt Zeit, danach zu suchen. Resigniert stellte sie die Suche ein und ihr Mut sank. Btol würde seine Gabe wohl selbstständig erforschen müssen. Doch das durfte ihre Mission nicht behindern.
Plötzlich traf sie die Erkenntnis wie ein Schlag. Seine Gabe war das fehlende Teil. Er konnte Nebel erzeugen, er konnte heilen, was seine Ankunft zu zerstören begonnen hatte. So konnte er ihnen das versprochene Jahrhundert verschaffen. Er musste die Barriere wieder aufbauen, doch wie? Einer plötzlichen Eingebung folgend
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