WELTEN-NEBEL
du dir Gedanken darüber gemacht, wie wir die Quellen des Nebels erkennen sollen?“
„ Ich hoffe darauf, dass uns die Götter den Weg weisen werden. Vielleicht ist der Nebel nahe der Quellen dichter, möglicherweise sieht man sogar, wie er aus dem Boden entspringt.“
Er wünschte, er könnte ihren Optimismus teilen. Sie schien unendliches Zutrauen in seine Fähigkeiten zu haben. Er selbst war sich keineswegs sicher, dass er in der Lage war, die Nebelquellen zu stärken. Gut, er konnte sich selbst in Nebel hüllen, doch das bedeutete noch lange nicht, dass seine Kraft auch dafür ausreichte.
Selbstzweifel waren eigentlich nie seine Art gewesen, doch jetzt, wo das Wohl und Wehe eines ganzen Volkes davon abhing, war es etwas anderes. Er wünschte, er hätte mehr Zeit gehabt, sich auf diese Reise vorzubereiten. Vielleicht hätten sie in der Höhle der Bücher noch wertvolle Hinweise entdecken können. Doch es war müßig, darüber nachzudenken. Es war wohl besser, wenn er seine Aufmerksamkeit auf die Umgebung richtete. Die Quellen des Nebels mussten schließlich zunächst gefunden werden. Über alles andere konnte er sich dann Gedanken machen.
Jahr 3637 Mond 10 Tag 27
Nördliche Küste, Martul
Acht Tage folgten sie nun schon der Küstenlinie, ohne auch nur einer Menschenseele begegnet zu sein. Dörfer gab es hier keine, denn der Küstenstreifen war sandig, der Boden versalzen, kein guter Ort um Landwirtschaft zu betreiben. Daher waren sie überrascht, als sie eine kleine Hütte entdeckten. Wind und Wetter hatten der Behausung zugesetzt, doch sie wirkte bewohnt. Btol fragte: „Was meinst du, sollen wir klopfen?“
„ Das wird wohl nicht nötig sein, ich glaube, da kommt der Bewohner.“
Ein Mann kam auf sie zugelaufen, zerlumpt und schmutzig. Er schrie: „Verschwindet, das ist mein Land.“
Er wirkte irgendwie verwirrt. Dennoch ging sie ohne Angst auf ihn zu. Sie nutzte ihre Gabe, um Zugang zu seinem Geist zu bekommen. Die Verwirrung des Mannes war nur oberflächlich, darunter lag ein gesunder Verstand. Er war offensichtlich keine Menschen gewohnt, was seine heftige Reaktion erklärte. Behutsam sprach sie auf ihn ein. Sie stellte sich mit ihrem falschen Namen vor und auch ihren Begleiter. „Sei gegrüßt. Ich bin Annyl und das ist mein Mann Torev. Wir sind Erzähler und durchwandern Martul auf der Suche nach Geschichten. Vielleicht können wir dich ja mit einer unterhalten? Oder hast du eine für uns?“
Ihr Ton wirkte beruhigend auf ihn. Noch war er zu verschüchtert, um ihr zu antworten, doch er würde zumindest nicht auf sie losgehen oder sie verjagen. Sie ging noch einen Schritt näher heran. Dabei zog sie einen Laib Brot aus ihrem Proviantbeutel. Eigentlich konnten sie es sich nicht erlauben, Nahrung zu verschenken. Doch sie sah es in diesem Fall als ein lohnendes Opfer an. Sie hielt das Brot vor sich, bot es ihm an. Er näherte sich, scheu wie ein Wildtier. Blitzschnell schnappte er nach dem Essen und zog sich einige Schritte zurück. Er riss ein Stück ab und schob es sich in den Mund. Noch kauend, sagte er: „Oleb.“
Das war wohl sein Name. Langsam fasste er Vertrauen. Sie setzte sich auf den Boden und machte Btol ein Zeichen, es ihr gleichzutun. Nach einer Weile setzte sich Oleb dazu, nicht direkt neben sie, doch nah genug, um ein Gespräch zu führen. Vorsichtig begann sie: „Danke, dass wir dein Land betreten dürfen, Oleb. Wir wollen dich nicht stören, sind nur auf der Durchreise. Darf ich dich etwas fragen?“
Oleb nickte.
„ Warum glaubst du, dein Land vor Fremden beschützen zu müssen?“
„ Ich beschütze nicht das Land, sondern die Menschen. Der Platz hier ist verflucht. Es gehen seltsame Dinge vor sich.“
Sie war erstaunt, dass er sich plötzlich so klar und gewählt artikulierte. Er wirkt nun nicht mehr verrückt, sondern ganz normal. Was immer seinen Geist verwirrte, es schien nicht von Dauer zu sein. Vielleicht war es auch die Anwesenheit anderer Menschen, die ihn zur Besinnung brachte.
„ Wie äußert sich dieser Fluch und warum bleibst du, wenn dieser Ort verflucht ist?“ Btol hatte sich in das Gespräch eingeschaltet. Hoffentlich verschreckte er Oleb damit nicht.
„ Warum wollt ihr das wissen?“ Der Mann wurde fahrig und machte sich daran aufzuspringen.
Sie hob beschwichtigend die Hände. „Du musst es uns nicht erzählen, doch wie ich vorhin schon sagte, wir sind Geschichtenerzähler. Da gehört Neugier zum Beruf.“
Auch sie wollte die Antwort auf
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