WELTEN-NEBEL
hatten sie bereitwillig aufgenommen und versprochen, für sie zu sorgen. Auf seine solche Freundlichkeit hatte er nicht zu hoffen gewagt. Im Vorfeld hatte er mit allerlei Schwierigkeiten gerechnet. Dass er den Menschen keine Gegenleistung für ihre Güte anbieten konnte, war noch das geringste der Probleme. Vielmehr hatte er befürchtet, dass sie ihn entweder nicht wiedererkennen, oder, falls doch, mit den Erzählungen über den Fremden, der für die Missernten verantwortlich war, in Verbindung bringen würden. Doch alle Befürchtungen hatten sich als unbegründet erwiesen. Er hatte das Dorf kaum betreten gehabt, da war er auch schon von Bewohnern umgeben gewesen, die ihn wie einen der ihren begrüßten. Alle sorgten sich sehr um den Zustand seiner Begleiterin, die er als seine Frau aus dem Tausend-Bäche-Dorf vorgestellt hatte. Die Geschichte, die er ihnen erzählte, war sorgfältig vorbereitet gewesen. Er und seine Frau Annyl wären als Erzähler auf der Reise durch Martul gewesen, als sie plötzlich ohne Vorankündigung in diesen Zustand verfiel.
Der Dorfheiler untersuchte Ewen gründlich, doch er konnte keine Ursache finden. Btol hatte nicht anderes erwartet. Er eröffnete den Dorfbewohnern, dass er gerne die Bewahrerin um Rat ersuchen würde. Ohne dass er hatte darum bitten müssen, boten ihm die Leute an sich für die Dauer seiner Reise um seine Frau zu kümmern. Mehr als überschwänglichen Dank hatte er ihnen dafür nicht entbieten können. Für Ewen aber hatte er einen Brief hinterlassen, in der Hoffnung, sie würde während seiner Abwesenheit erwachen.
Das war vor zwei Tagen gewesen. Danach hatte er die Quelle aufgesucht. Sie hatte sich ganz genauso angefühlt wie ihr Pendant im Norden. Es hatte keine Hinweise darauf gegeben, warum Ewen durch die Berührung in diesen schrecklichen Zustand geraten war. Vielleicht hatte sie etwas spüren können, was sich ihm nicht erschloss. Doch es war müßig, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Selbst wenn er Tage darauf verwendet hätte, er wäre erfolglos geblieben. Also hatte er das getan, worauf er sich verstand. Die Stärkung war ihm mühelos gelungen und noch am gleichen Tag war er weitergezogen. Nun befand er sich auf dem Weg nach Süden, fest entschlossen, seine Aufgabe zu erfüllen. Ewen hätte es so gewollt, sagte er sich immer wieder.
Jahr 3637 Mond 12 Tag 15
Rogmündung, Martul
Er war fort. Sie war sich sicher, dass sie nun sterben würde. Zwar war sie umgeben von scheinbar liebenswerten Menschen, die ihre körperlichen Bedürfnisse befriedigten, doch das würde nicht genügen. Btols Nähe war das Einzige gewesen, dass sie davor bewahrt hatte, den Lebensmut zu verlieren und einfach aufzugeben. Jetzt, da er gegangen war, gab es nichts mehr, woran sie sich klammern konnte. Ihr fehlte der Klang seiner Stimme, die Berührung seiner Hände, sogar sein Schnarchen in an ihrem Ohr, wenn er sich nachts an sie geschmiegt hatte.
Er hatte versprochen zurückzukommen. Sie glaubte ihm. Dennoch wusste sie sowohl um die Gefahren seiner Reise als auch um ihre Dauer. Es würde mindestens drei Monde dauern, bis er die letzten drei Nebel-Quellen gefunden hätte. Es war mehr als ungewiss, ob sie eine so lange Zeit ertragen würde, gefangen in ihrem eigenen Körper. Wenn sie gekonnt hätte, sie hätte ob ihres Schicksals geweint.
Jahr 3638 Mond 1 Tag 7
Südliche Wälder, Martul
Tag und Nacht war er gelaufen, hatte sich stets nur ein Minimum an Schlaf zugestanden. Schon morgen würde er die Küste erreichen, das wusste er von den Menschen, die er am Vortag mit seinen Geschichten unterhalten hatte. Noch immer bediente er sich der Maskerade des Erzählers, doch blieb er nun nie länger als eine Nacht in einem Dorf. Er bot seine Künste dar und erhielt dafür Lebensmittel, dann machte er sich wieder auf den Weg. Sein Körper lechzte nach Ruhe, nur sein eiserner Wille und der Gedanke an Ewen ließen ihn weitermachen.
Es verging kein Tag, an dem er nicht an sie dachte. Wie es ihr wohl ginge? Kümmerte man sich gut um sie? Jetzt, da er sich nicht mehr persönlich von ihrem Zustand überzeugen konnte, sorgte er sich noch mehr als zuvor. Solange er bei ihr gewesen war, hatte er zumindest gewusst, dass sie noch lebte. Die Ungewissheit war schwer zu ertragen. Auch die Einsamkeit nagte an ihm. Während der gemeinsamen Reise hatten sie einander Mut zusprechen können, sich gegenseitig in ihrem Tun bestätigt. Nun aber musste er alle Zweifel und Bedenken mit sich selbst
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