WELTEN-NEBEL
erwacht und losgelaufen. Erst nach einer ganzen Weile hatte er bemerkt, dass er in die falsche Richtung unterwegs gewesen war. Statt weiter den Berg hinab zu laufen, hatte er sich nach Norden bewegt. Er konnte sich noch immer nicht erklären, wie das hatte geschehen können. Er war wie in Trance gewesen, nicht Herr seiner Sinne und Entscheidungen. Welche Kräfte waren da am Werk gewesen? Seit diesem Vorfall hatte er stets aufmerksam auf seinen Weg geachtet, hatte in sich hineingehorcht, ob er nicht wieder unter einem fremden Einfluss stand. Die Geschehnisse erinnerten ihn zu sehr an den Vorfall in der Zentralwüste Helwas. Damals hatte er fast sein Leben verloren. Ihn fröstelte noch immer bei dem Gedanken daran.
Gerne hätte er mit Ewen darüber geredet, doch sie hatte nicht noch einmal Kontakt zu ihm aufgenommen. Vielleicht war es auch besser so, denn der Gedanke an ihr Geheimnis hatte ihn noch immer nicht losgelassen. Er wusste nicht, ob er das damit verbundene Unbehagen und Misstrauen würde verbergen können, wenn Ewen in seinem Geist war. Es würde sie sicher verletzen, wenn sie sein mangelndes Vertrauen spürte. Dennoch, er konnte es nicht aus seinem Kopf bekommen. Warum verheimlichte sie ihm etwas? Es kränkte ihn mehr, als er es sich selbst eingestehen wollte. Er hatte geglaubt, sie seinen gleichgestellte Partner bei dieser Mission, sie würden alles miteinander teilen. Dass sie das anders sah, betrübte ihn. Doch er kämpfte gegen die negativen Gefühle an, hoffte, sie bis zu seinem Zusammentreffen mit ihr niedergerungen zu haben. Er wollte ihr vorurteilsfrei gegenübertreten und ihr die Chance geben, sich zu erklären.
Jahr 3638 Mond 2 Tag 27
Rogmündung, Martul
Es war so weit. Sie konnte nicht länger tatenlos herumsitzen. Egal war Malinca und Btol dazu sagten, sie würde ihm entgegengehen. Die Dorfbewohner hatten sie großzügig mit Proviant versorgt. Ein jeder verstand, dass sie so schnell wie möglich wieder bei ihrem Mann sein wollte. Da er einen Brief für sie hinterlassen hatte, konnte sie sogar glaubhaft machen, woher sie wusste, wo er zu finden war. Schon morgen würde sie sich auf den Weg machen, immer den Rog entlang. Sie würden sich wahrscheinlich in der Mitte des Flusslaufes treffen. Sie hatte viel über die Lage der fünften Quelle nachgedacht und hielt die Mitte Martuls für einen möglichen Platz. Schon deshalb war es sinnvoll, wenn sie Btol den Weg zu ihr ersparte.
Der eigentliche Grund für ihre Eile aber lag tiefer. Sie hatte das Gefühl, den Kontakt zu Btol zu verlieren. Das seltsame Gefühl, das sie nach ihrem letzten Gedankengespräch gehabt hatte, war ein deutliches Zeichen dafür. Dabei waren sie einander doch so nahe gewesen. Davon aber schien nichts geblieben. Und sie vermisste es, vermisste ihn, die Gespräche, seine bloße Anwesenheit. Es waren die vielen Kleinigkeiten, die sie mit Wehmut erfüllten: Da war die Art, wie er sie ansah, um festzustellen, ob es ihr nicht zu viel wurde; manchmal hatte sie seine Blicke noch beim Einschlafen gespürt. Auch sein Lachen fehlte ihr, bei der Arbeit als Geschichtenerzähler hatte er häufig gelacht. Am meisten aber – und dieser Umstand verwirrte sie – sehnte sie sich nach den vielen kleinen Berührungen, häufig unabsichtlich oder bedeutungslos.
Vorsichtig streckte sie ihren Geist nach dem seinen aus. Sie wollte nicht, dass er ihre Anwesenheit bemerkte, wollte nicht mit ihm reden, sondern lediglich sein Befinden und seinen Aufenthaltsort herausfinden. Durch ihre Vorsicht gelang ihr der Kontakt nicht gleich, doch dann kamen die Bilder. Die Umgebung war ihr vertraut, keine Tagesreise war es von dort bis zu ihrem Geburtsort. Er hatte also gerade erst die Ebene erreicht. Von nun an würde sie versuchen, täglich seine Position zu bestimmen. Hoffentlich bemerkt er dabei ihr heimliches Eindringen nicht. Ganz wohl war ihr dabei nicht. Doch ihr fehlte die emotionale Stärke für einen direkten Kontakt.
Jahr 3638 Mond 3 Tag 6
Zentralmartul
Spätestens am nächsten Tag würden sie aufeinandertreffen und Btol ahnte immer noch nichts davon. Es war höchste Zeit, dass sie ihn von ihrem Nahen in Kenntnis setzte, doch irgendwie schob sie es immer wieder auf. Sie fürchtete, er würde über ihren Leichtsinn, sich einfach alleine auf den Weg zu machen, erzürnt sein. Dabei wusste sie, ihr Schweigen würde es nicht besser machen. Wenn sie einander erst gegenüberstanden, würde er seine Schelte sogar direkt an sie richten
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