WELTEN-NEBEL
können.
Sie folgte dem ausgetretenen Uferpfad, der sich über die ganze Länge des Flusses eng an den Lauf des Rogs anschmiegte. Von ihren täglichen Besuchen in seinem Geist wusste sie, dass auch Btol auf diesem Weg unterwegs war, auch wenn sie seine Position nur ungefähr bestimmen konnte. Die Schätzung über den Zeitpunkt ihres Zusammentreffens basierte auf ihren Annahmen zu seiner Laufgeschwindigkeit. Dass sie darin geirrt hatte, wurde ihr klar, als sie eine allzu vertraute Gestalt auf sich zukommen sah. Angewurzelt blieb sie stehen, unfähig auch nur noch einen Schritt zu tun.
Nun schien auch Btol sie entdeckt zu haben, denn er beschleunigte seine Schritte, fast rannte er. Kurz vor ihr kam er zum Stehen, Unglaube spiegelte sich in seinem Gesicht.
Er konnte es nicht glauben, selbst als sie direkt vor ihm stand. Er brachte kein Wort heraus, obwohl er so viele Fragen hatte. Warum war sie hier? Ging es ihr gut? Und vor allem: Warum hatte sie ihn nicht von ihrem Kommen unterrichtet?
Er wusste nicht, ob er wütend sein sollte über ihr leichtsinniges Verhalten, oder erleichtert, dass es ihr gut ging. Die Freude gewann die Oberhand und er schloss sie in die Arme. Erst als er sie spürte, konnte er es tatsächlich glauben: Sie war hier und es schien ihr gut zu gehen. Nur etwas mager fühlte sie sich an. Sie war immer dünn gewesen, doch die Krankheit hatte ihr zugesetzt. Er konnte jede ihrer Rippen spüren. Ihre weibliche Weichheit aber war geblieben, es fühlte sich so gut an, ihren Körper zu spüren. Er atmete ihren Geruch, schmiegte sein Gesicht an ihr Haar. In die Wiedersehensfreude hatte sich etwas anderes gemischt, was er nicht beschreiben konnte, nicht ergründen wollte. Diese Nähe machte das Denken nahezu unmöglich. Widerwillig ließ er sie los und hielt sie eine Armeslänge von sich weg. Er tat, als würde er sie betrachten, doch in Wirklichkeit suchte er noch immer nach Worten.
Alle Sorgen waren verflogen, alle Bedenken vergessen. Sie war froh, dass er wieder bei ihr war. Auch ohne ihre Gabe wusste sie, es ging ihm ebenso. Seine Umarmung sprach eine deutliche Sprache. Fast bedauerte sie, dass er sie losließ. Seine Arme hatten ihr die Geborgenheit gegeben, die sie so lange hatte entbehren müssen. Alle Vorbehalte, alle Ängste waren vergessen. Und sie begann zu reden. Sie erzählte ihm von ihren heimlichen Verbindungen zu seinem Geist, bat ihn um Verzeihung dafür. Er gewährte sie ihr, zeigte Verständnis für ihr Vorgehen.
Sein Verhalten ermutigte sie, ihm auch von ihren Erfahrungen an der Nebelquelle zu erzählen. Es fiel ihr schwer, sich dieses traumatische Erlebnis wieder ins Gedächtnis zu rufen. Fast war es ihr, als greife jene dunkle Präsenz erneut nach ihr. Sie begann zu zittern, konnte nicht weitersprechen. Doch dann nahm er ihre Hände in die seinen, sprach beruhigende Worte. Sie fasste sich und berichtete von den langen Tagen, in denen sie die Gefangene ihres eigenen Körpers gewesen war. Auch den beschwerlichen Weg zurück ins Leben enthielt sie ihm nicht vor.
Sie hatte begonnen zu weinen und trotz seines Schocks gelang es ihm, sie tröstend in den Arm zu nehmen. Sie barg ihr Gesicht an seiner Brust. So sah sie den Ausdruck des Entsetzens nicht, der sich seines Gesichts bemächtigt hatte. Er konnte sich nur ansatzweise vorstellen, was sie durchlebt hatte, doch schon das war fast zu viel für ihn. Welche Qual musste es gewesen sein, dazuliegen, bei vollem Bewusstsein, unfähig, auch nur die Augen zu öffnen. Wenn er damals um ihren Zustand gewusst hätte, niemals hätte er sie allein gelassen. „Es tut mir so leid, ich hätte dich nicht im Stich lassen dürfen.“
„ Aber das hast du nicht.“ Noch immer hörte er die Tränen in ihrer Stimme. „Du konntest es nicht wissen. Außerdem musstest du die Mission fortführen. Du konntest gar nicht anders handeln und ich hätte es auch nicht anders gewollt.“
„ Warum hat dieses Wesen dich angegriffen, mir aber nichts getan?“
„ Weil du die Quellen nährst und ihm damit neue Nahrung verschaffst.“
„ Dann war es falsch, die Nebelquellen zu stärken. Das Böse wird dadurch mächtiger werden. Dürfen wir unsere Mission unter diesen Umständen überhaupt fortsetzen?“
„ Ich habe viel darüber nachgedacht und ich denke, wir sollten dennoch die fünfte Quelle aufsuchen. Eine mehr macht sicher keinen großen Unterschied. Wenn dieses Wesen durch den Nebel zu Macht gelangt, so werden ihm auch die vier Quellen reichen.
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