WELTEN-NEBEL
ihrer Freunde mit dem kurz geschorenen blonden Haar, dem schlaksigen Körperbau und dem schmalen Gesicht wirklich für einen jungen Mann gehalten. Anders hätte er wohl die Gelehrten auch keine sieben Jahre täuschen können.
Nachdem sich ihre Besucher von Roteha bei Speis und Trank gestärkt hatten, kam das Gespräch von unverbindlichen Höflichkeiten schnell zum Grund ihrer Anwesenheit.
Yerina berichtete, unter welchen Umständen es zu der Veränderung am Heiligen Würfel gekommen war und was sie bis jetzt für Erkenntnisse gewonnen hatte. Leider war dies nicht besonders viel. Obgleich Zada sich bemüht hatte, konnte sie nichts über die fremde Sprache sagen. Zwar gab sie noch immer Brocken jener Sprache von sich, wann immer sie den Heiligen Würfel berührte, deren Sinn jedoch blieb ihr verborgen.
Andere Priesterinnen und auch Besucher des Tempels hatten zwar viele Vermutungen geäußert, doch wirkliche Ergebnisse hatte man in den letzten Monden keine erzielt.
Die kurze Begutachtung des Würfels hatte Ruwen und Mawen ausgereicht, um Yerinas Vermutung, dass es sich bei den Zeichen um eine Schrift handelte, zu bestätigen. Sie versprachen, nichts unversucht zu lassen, die Struktur und den Sinn jener Schrift zu ergründen. Yerina sicherte ihnen alle benötigten Mittel zu, bat sie aber, die genauere Untersuchung des Heiligen Würfels nur unter Aufsicht einer Priesterin durchzuführen. Auch wäre es notwendig, diese zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang zu tun, um den normalen Betrieb im Tempel nicht zu stören. Es kursierten schon genug Gerüchte darüber, was die Veränderung des Heiligen Würfels zu bedeuten hatte, weshalb eine allzu öffentliche Untersuchung zu vermeiden sei. Ruwen und sein Schüler zeigten sich zufrieden mit dieser Vereinbarung und wollten sich noch am selben Abend an die Arbeit machen.
ENTHÜLLUNGEN
Jahr 3619 Mond 4 Tag 2
Aaran
Über ihre Forschungen war inzwischen ein Mond vergangen. Sie hatten sechs Nächte benötigt, die Zeichen vom Würfel akkurat auf Pergament zu übertragen. Dann begannen sie, die vermeintliche Schrift zu untersuchen.
Schnell fanden sie ein Zeichen, das sich häufiger wiederholte als die anderen. Der schräge Strich stellte möglicherweise eine Worttrennung dar. Ferner fanden sie noch vierzig andere Zeichen. Fünf davon stuften sie als Satzschlusszeichen oder Trennungszeichen ein. Es blieben also noch fünfunddreißig, die für bestimmte Laute standen. Allerdings hatten sie keine Anhaltspunkte dafür, für welche, da sie überhaupt nichts über die fremde Sprache wussten. Seit sechs Tagen hatten sie keine Fortschritte mehr gemacht.
Mawens Laune verschlechterte sich allmählich. Sie hatten so hart gearbeitet und doch war eine Lösung des Rätsels unerreichbar weit entfernt. Auch fühlte er sich in dem Gästehaus der Regierung irgendwie eingesperrt, obgleich ihre Räume über eine komfortable Ausstattung verfügten. Außer seinen täglichen kurzen Spaziergängen in den ehemaligen Palastgärten und den anfänglich täglichen Besuchen im Tempel hatte Mawen das Gästehaus nicht verlassen. Von früh bis spät hatte er mit seinem Lehrmeister an der Enträtselung der Schrift gearbeitet. Als Mawen an diesem Morgen von seinem Spaziergang zurückkehrte, hielt Ruwen eine Überraschung für ihn bereit. Er saß bereits beim Frühstück, das ihnen wie immer von den Hausangestellten im Salon ihrer Zimmerflucht serviert worden war, und sein Gesicht zeigte ein schalkhaftes Lächeln, das doch recht untypisch für ihn war. Nur selten zeigte der Gelehrte, der bestimmt schon fünfzig Sommer gesehen hatte, Gefühle. Nur während seiner Arbeit ließ er sich bisweilen zu Gefühlsregungen hinreißen. „Was habt Ihr?“, fragte Mawen.
„ Setzt Euch und esst. Wir haben einen aufregenden Tag vor uns. Wir nehmen uns heute mal frei. Ihr wolltet doch schon lange Aaran erkunden. Und etwas Ablenkung bringt uns vielleicht auf neue Ideen, wie wir unser Problem angehen können.“
Mawen war so überrascht, dass er nichts zu sagen wusste. Er setzte sich und aß mit Appetit. Heute würde er endlich Aaran entdecken können. Ob ein Tag dafür überhaupt ausreichen würde?
Sie ließen sich ziellos durch die Gassen Aarans treiben. Hin und wieder blieben sie stehen, um ein Gebäude oder einen Platz zu betrachten. Ruwen, der die Stadt bereits mehrere Mal besucht hatte, ließ Mawen an seinem reichen Wissen über die Hauptstadt teilhaben. Ihr Mittagsmahl
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