WELTEN-NEBEL
kauften die beiden an einem Stand auf dem Markt und verzehrten es im Gehen. Als es Abend wurde, traf es sich, dass sie plötzlich vor dem Tempel standen, dessen weißer Marmor in der Abendsonne erstrahlte. Bald würden die Tore des Tempels für die Nacht geschlossen werden.
„ Lasst uns hineingehen, Meister. Ich würde mir den Würfel gerne nochmals anschauen.“
Eine der Priesterinnen erkannte die beiden und nickte ihnen zu. Sie würden also sicher auch nach Schließung des Tempels bleiben dürfen. Nachdem er den Tag über von ihren Forschungen abgelenkt gewesen war, spürte Mawen nun neuen Elan, das Rätsel zu lösen. Er hatte das Gefühl, irgendetwas übersehen zu haben. Dicht vor dem Heiligen Würfel ließ er sich auf dem Boden nieder. Konzentriert betrachtete er die Schriftzeichen, während sich der Tempel langsam leerte und die Tore geschlossen wurden. Er hörte, wie sein Lehrer leise mit einer der Priesterinnen sprach. Die Zeichen begannen vor seinen Augen zu verschwimmen, sodass Mawen plötzlich das Gefühl hatte, auf eine leere schwarze Fläche zu schauen. 'So muss der Würfel noch vor wenigen Monden ausgesehen haben', dachte er, 'bis die junge Priesterin … Aber natürlich, warum war ihm das nicht früher eingefallen? Möglicherweise war sie der Schlüssel.'
Er drehte sich zu Ruwen um, der etwas abseits Platz genommen hatte. „Erinnert Ihr Euch an die junge Priesterin, die dies hier bewirkt hat?“
„ Aber sicher. Worauf wollt Ihr hinaus?“
„ Sie murmelt doch immer, wenn sie den Würfel berührt. Was ist, wenn dies keine zufälligen Worte sind, sondern sie die ausspricht, die ihre Hand berührt? Dann könnten wir den Zeichen Laute zuordnen. Vielleicht können wir über den Klang der Worte ihre Bedeutung ergründen.“
„ Nun, einen Versuch wäre es wert. Warum ist mir dies nicht in den Sinn gekommen?“
„Gut, dann lasst uns zur Oberpriesterin gehen und ihr unseren Vorschlag unterbreiten.“
„ Das wird nicht nötig sein“, erklang es aus einer Nische. Amüsiert beobachtete Yerina, wie sich die Köpfe der beiden Gelehrten in ihre Richtung drehten. Sie öffnete die mit Ornamenten durchbrochene Holztür der Nische, von der aus sie schon den ganzen Nachmittag das Treiben im Tempel beobachtet hatte. Immer wieder gerne nutzte sie diese Nischen, um sich einen Eindruck von den Vorgängen im Tempel zu machen, ohne dabei selbst gesehen zu werden. Als Ruwen und Mawen am Abend eingetreten waren, hatte ihre Neugier sie zum Bleiben verleitet und sie war belohnt worden. Sie hatte selbst erleben können, was für ein kluger Kopf Mawen war. Sie würde Peria und Jeven in ihrem nächsten Brief davon berichten.
„Eure Idee ist wirklich gut, ich werde Zada sogleich holen, damit Ihr sie in der Praxis überprüfen könnt.“
Die beiden Angesprochenen hatten sich inzwischen von dem überraschenden Auftauchen der Oberpriesterin erholt und Ruwen antwortete: „Das wird nicht nötig sein. Wenn es Euch recht ist, werden wir erst morgen damit beginnen, da wir unsere Abschriften und Schreibutensilien benötigen.“
„ Aber natürlich. Ich werde Euch morgen zum Sonnenuntergang mit Zada hier erwarten.“ Yerina bedeutete den beiden sowie der Priesterin, die bei den Gelehrten im Tempel geblieben war, ihr zu folgen. Gemeinsam verließen sie den Tempel.
Jahr 3619 Mond 4 Tag 4
Aaran
Erschöpft ließ Zada sich auf das Bett ihres Quartiers fallen. Die Nacht mit den beiden Gelehrten war anstrengend gewesen. Immer wieder hatte sie den Heiligen Würfel berühren müssen, damit die beiden die Worte, die sie dabei sprach, notieren konnten. Während der jüngere, Mawen, ihr immer wieder gezeigt hatte, welche Stellen sie berühren sollte, und dann versucht hatte, ihre Worte zu wiederholen, hatte sein Lehrer Ruwen Notizen gemacht. Zu Beginn hatte Zada nicht gemerkt, dass sie sprach, geschweige denn, dass sie sich an die Worte erinnern konnte, doch im Laufe der Nacht war sie sich ihrer Worte immer bewusster geworden. Nach etlichen Versuchen konnte sie sich sogar an sie erinnern. Ab diesem Punkt waren sie dann auch schneller vorangekommen, da sie jede Stelle nur noch einmal hatte berühren müssen und das Wort dann beliebig oft für die Gelehrten hatte wiederholen können. Dennoch konnten sie nur die Schrift von einer Seite des Heiligen Würfels in Laute umsetzen. Daher fragte Zada am Morgen voller Sorge, ob sie nun noch weitere fünf Nächte so fortfahren mussten. Mawen legte ihr jedoch beruhigend die Hand auf
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