WELTEN-NEBEL
wenn es etwas Ernstes war?
Die Ruhe der letzten Tage hatte ihr gutgetan. Je länger sie unter diesen Menschen lebte, umso sicher war sie sich, dass von ihnen keine Gefahr ausging. Die Bewohner der Siedlung lebten ein einfaches Leben, das von Jagd und Handwerk geprägt war. Soweit sie das beurteilen konnte, waren sie talentierte Metallhandwerker, sie gossen und schmiedeten das Metall auf verschiedenste Weisen. Die Rohstoffe dazu stammten wohl aus den Bergen.
Die Frauen der Siedlung bestellten einige kleinere Felder, was darauf wuchs, vermochte sie noch nicht zu sagen, dazu war es noch zu früh im Jahr. Gewiss aber stammte das Getreide für das Brot, das zu jeder Mahlzeit serviert wurde, von diesen Ackerflächen. Sie hatte darüber nachgedacht, den Frauen auf den Feldern zur Hand zu gehen, um so ihr Vertrauen zu gewinnen, doch ihre mangelnde Kraft ließ es nicht zu.
Zwar war sie nicht mehr ganz so erschöpft wie bei ihrer Ankunft in der Siedlung, doch noch immer war ihr täglich übel. Es fiel ihr schwer, überhaupt etwas zu essen, und so wurde sie von Tag zu Tag schmaler und die Mattigkeit schwand nicht. Sie versuchte, ihre Schwäche vor Rihnall zu verbergen. Wann immer er sie danach fragte, behauptete sie, es ginge ihr gut. Sie zwang sich, so viel wie möglich zu essen, auch wenn sie sich dadurch manchmal nach dem Essen davonschleichen musste, um sich zu übergeben. Sie wusste nicht, wo der Grund für ihr Unwohlsein lag, hoffte aber, es würde sich von selbst geben. Sie brauchte ihre Kraft, um sich auf die Erforschung der Menschen hier zu konzentrieren.
Sie hoffte, dabei mehr Erfolg zu haben als Rihnall. Sie machte ihm sein Versagen nicht zum Vorwurf, schließlich wurde er von den Bewohnern der Siedlung gemieden. Ihr gegenüber aber schienen die Menschen etwas offener zu sein. Besonders eine junge Frau hatte sich ihr schon mehrfach neugierig genähert. Süylin schätzte, dass sie ungefähr ihr Alter hatte. Soweit sie es beobachtet hatte, war die junge Frau in ihrem Volk eine Außenseiterin, nahm eine sozial niedrige Stellung ein. Vielleicht war das der Grund dafür, dass sie weniger Vorbehalte gegen die Fremden hatte als die anderen. Wenn sie sich doch nur besser fühlen würde, dann könnte sie sicher eine Beziehung zu der Frau aufbauen.
Jetzt war ihr schon wieder schlecht, dabei hatte sie heute noch kaum etwas gegessen. Sie suchte den Schutz einiger Büsche auf, um sich zu übergeben. Mehrfach musste sie würgen. Als sie sich danach aufrichtete, stand die junge Frau hinter ihr, reichte ihr einen Becher mit Wasser und ein Tuch. Süylin nahm einen Schluck und säuberte sich das Gesicht. Sie schenkte der Frau ein dankbares Lächeln. Sie entschied, die Situation zu nutzen. Die zeigte auf sich und nannte mehrfach langsam ihren Namen. Dann wies sie auf die Frau. Diese verstand wohl, denn sie sagte: „Bevan.“ Süylin wiederholte den Namen, um zu zeigen, dass sie verstanden hatte. Bevan nickte und griff nach ihrer Hand. Sie wollte Süylin wohl etwas zeigen, denn sie führte sie an den Rand der Siedlung auf eine Wiese. Schnell pflückte Bevan einige Stängel eines Krautes und hielt es ihr hin. Sie musste wohl verständnislos geschaut haben, denn Bevan steckte sich selbst etwas davon in den Mund. Wenn Süylin die folgenden Gesten richtig deutete, so halfen die Kräuter gegen Übelkeit. Einen Versuch war es wert. Und so konnte sie Bevan zeigen, dass sie ihr vertraute. Das Kraut war bitter, doch tapfer aß sie die Menge, die Bevan ihr gereicht hatte. „Danke.“
Bevan nickte, ganz so, als habe sie verstanden. Dann begann sie, auf Dinge zu zeigen und Worte in ihrer Sprache zu sprechen. Stets wartete sie, bis Süylin diese wiederholte. Den ganzen Nachmittag ging dies so. Süylin bemühte sich, alles, was sie lernte, im Gedächtnis zu behalten. Gerne hätte sie es aufgeschrieben, doch sie besaß kein Schreibmaterial. Vielleicht konnte Bevan ihr helfen, welches zu organisieren. Sie musste es ihr bloß irgendwie verständlich machen. Aber bis sie wirklich mit ihr reden konnte, würde es wohl noch eine Zeit dauern. Es war schon ein großer Fortschritt, dass Bevan überhaupt willens war, sie ihre Sprache zu lehren. Erstmals seit ihrer Ankunft sah sie eine Chance, dass sich ihre Situation verändern würde.
Seit die Jäger die beiden blauhäutigen Fremden in die Siedlung gebracht hatten, hatte Bevan sie neugierig beäugt. Trotz des seltsamen Aussehens und der ungeklärten Herkunft schienen sie ihr nicht
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