WELTEN-NEBEL
hätte, wie sie es seit Kurzem zu tun pflegte. Süylin aber bestand darauf, wollte so auch Kontakt zu den anderen Frauen finden. Grundsätzlich begrüßte er dies, versuchte er doch bei seinen Jagdausflügen mit den Männern des Stammes Gleiches zu erreichen. Doch er hatte Angst, sie würde sich zu viel zumuten. Immerhin war sie schwanger. Gestern war es deswegen sogar zum Streit gekommen. Sie hatte ihm vorgeworfen, überfürsorglich zu sein und sie zu bevormunden, als sei sie ein kleines Kind. Nur mit Mühe hatte er sie besänftigen können, hatte ihr versprechen müssen, fortan weniger besorgt zu sein. Dies würde ihm sicher nicht leicht fallen, entsprang seine Sorge doch seiner tiefen Liebe für seine Frau.
Zusammen mit Bevan trug sie gerade einen Korb mit essbaren Knollen in das zentrale Lager der Siedlung, als plötzlich Unruhe entstand. Sie sah, wie die Männer zu ihren Waffen griffen. Bevan nahm ihre Hand und zog sie in Richtung des Tors. Offenbar war sie ebenso neugierig wie Süylin. Sie hatten das Tor fast erreicht, als einer der Krieger sie aufhielt. Das Tor wurde gerade geschlossen. Der Krieger forderte sie auf, sich in die Hütten zu begeben. Bevan zog sie mit sich, doch statt zu den Hütten lenkte sie ihre Schritte auf eine kleine Anhöhe innerhalb der Dorfumfriedung. Von dort konnten sie einen Blick über die hölzerne Mauer erhaschen.
Was sie sah, erschien ihr kein Anlass zur Sorge. Drei Krieger liefen auf den Eingang der Siedlung zu. Erst Bevans Erklärung offenbarte ihr den Grund für die Aufregung: Die drei waren nicht irgendwelche Krieger, sondern die Anführer der anderen Stämme. Ihr gemeinsames Erscheinen hatte wohl den Eindruck erweckt, sie hätten sich gegen den Bergstamm verbündet.
Eine kräftige Stimme erscholl, es war die von Bevans Vater, dem Anführer des Küstenvolkes. Man möge sie einlassen, sie kämen in friedlicher Absicht.
Von ihrem Beobachtungsposten aus konnten sie sehen, dass lange Zeit nichts geschah. Offenbar wollte man der Bitte nicht entsprechen. Vielleicht warteten die Krieger auch auf die Anweisungen des Anführers.
„ Lass uns Rihnall suchen“, schlug sie vor.
Ihm waren die Geschehnisse nicht verborgen geblieben. Den Gesprächen der Krieger hatte er entnehmen können, wer dort vor dem Tor stand. Aus Bevans Berichten wusste er, dass etwas wahrhaft Ungewöhnliches vor sich ging. Drei der vier Stämme traten gemeinsam auf. Es war nicht verwunderlich, dass sich der Bergstamm bedroht fühlte. Hoffentlich tat niemand etwas Unbedachtes, den dies würde zwangsläufig Krieg bedeuten. Auch wenn er nicht an sie glaubte, sandte er eine stille Bitte an die Götter, sie mögen allen Beteiligten Besonnenheit schenken.
Süylin und Bevan kamen auf ihn zugelaufen. Aufgeregt berichteten sie, was sie beobachtet hatten. „Können wir nicht irgendetwas tun?“, fragte Süylin.
„ Ich weiß nicht, ob unsere Einmischung es nicht noch verschlimmern würde.“
„ Aber sie halten uns doch für Boten der Götter. Könnten wir nicht behaupten, wir wären geschickt worden, um Frieden zu stiften?“
Er überlegte kurz. Der Vorschlag erschien ihm aussichtsreich. Möglicherweise war es einen Versuch wert. Aber hatten die anderen Stämme wirklich Frieden im Sinn? Sie würden mit ihnen sprechen müssen, um dies in Erfahrung zu bringen.
„ Ja, das könnte funktionieren.“
Erst der Umstand, dass Bevan stumm blieb, ließ ihn bemerken, dass sie vor Aufregung in ihre Muttersprache verfallen waren, sodass Bevan ihrem Gespräch nicht hatte folgen können. Schnell übersetzte er Süylins Vorschlag ins Atressian, so gut er es vermochte, und erfragte Bevans Meinung dazu.
„ Mein Vater hat schon einmal versucht, den Kontakt zu den anderen Stämmen zu verbessern. Sie kommen also wirklich in Frieden. Doch wenn ihr als Vermittler auftreten möchtet, so solltet ihr dennoch zunächst mit ihnen reden und ihr Einverständnis erbitten. Ich hoffe, der Anführer des Bergstammes lässt euch zu ihnen. Einlassen wird er sie wohl kaum.“
Also war es beschlossen.
Es kostete sie einige Mühe, zum Anführer vorgelassen zu werden. Dieser saß umringt von seinen Kriegern in der Großen Hütte und hielt Rat. Anfangs wollte er nichts von der Einmischung der Fremden wissen, doch als Rihnall wie beiläufig erwähnte, der Friede wäre der Wille der Götter, verfehlte dies seine Wirkung nicht. Man gestattete Rihnall, in Begleitung eines Kriegers die Siedlung zu verlassen und mit den anderen Anführern
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