WELTEN-NEBEL
die Liebe zu Süylin, die es ihm unmöglich machte, ihr Leid zu ertragen, die Furcht in ihren Augen zu sehen und die Erschöpfung. Immer wenn er Zeuge ihrer Qual wurde, musste er sich abwenden. Es war ihm unmöglich, ihr zu helfen. Er verging fast vor Schuld, schließlich war er es, der sie nach Atress gebracht hatte. Hätte er doch nie seinem Interesse an ihr nachgegeben.
Er wusste, sie würde es ihm nie vergeben. Er hatte so viele Fehler gemacht und jetzt ließ er sie allein. Alles, was er jetzt noch für sie tun konnte, war, seinen Beitrag zum Gelingen des Planes beizutragen und dann sie und ihr Kind sicher nach Elung zurückzubringen. Unhörbar für seine Begleiter gab er ein geflüstertes Versprechen: 'Ich werde bis zu meinem letzten Atemzug dafür kämpfen, dass Süylin sicher heimkehrt.'
„ Meinst du, dass wir unser Ziel erreichen?“ Süylin sprach aus, was sie wohl schon eine Weile beschäftigte.
„ Ich bin mir sicher. Wir sind so nah dran, das spüre ich. Die Gipfel sind nicht mehr fern, und wenn wir sie erst überquert haben, sind wir schon fast am Ziel.“
„ Aber ich habe das Gefühl, dass wir kaum an Höhe gewinnen.“
„ Das denkst du nur, weil du Angst hast hinunterzuschauen. Dreh dich nur um, dann wirst du sehen, wie hoch wir schon sind. Keine Angst, ich halte dich.“
Und wirklich, jetzt, da Bevan sie mit beiden Händen festhielt, traute sich Süylin, einen Blick hinab zu werfen. Sie spürte, wie ihrer Freundin kurz der Atem stockte. Der Anblick, der sich ihnen bot, war auch wirklich atemberaubend. Unter ihnen fiel der Berg teils steil ab, Geröll, soweit das Auge reichte. Doch es war mitnichten so grau und trostlos, wie man es vermuten würde. Überall schimmerten grüne Flecken, Moose und Flechten überzogen die Steine. Auch einige Büsche hatten trotz der widrigen Bedingungen Wurzeln geschlagen. Selbst die unbewachsenen Stellen schimmerten in den verschiedensten Schattierungen, bald war der Stein braun, bald weiß, an manchen Stellen nachtschwarz. Und weit unten, fast schon außer Sicht, schimmerte das Meer. Der Anblick entschädigte fast für die Beschwernisse der letzten Tage. Sie genossen den Moment, während die Nachmittagssonne ihnen die Rücken wärmte.
Gerne hätte sie noch hier verweilt, doch sie mussten sich beeilen, um wieder zu den Männern aufzuschließen.
HOFFNUNG
Mond 9 Jahr 3688
Herbst
Gebirge, Atress
Hochstimmung machte sich in der Reisegesellschaft breit. Endlich einmal gab es positive Nachrichten. Während sie die letzten zwei Tage unter Dauerregen und Wind zu leiden gehabt hatten, schien an diesem Tag wieder die Sonne. Und kaum, dass sie am Morgen aufgebrochen waren, hatten sie ein Einschnitt zwischen zwei Gipfeln entdeckt, der ihnen wohl einen weiteren Aufstieg ersparen würde. Allen Anschein nach würden sie durch diesen Spalt auf die andere Seite des Gebirgskamms gelangen, vielleicht sogar bis auf das Hochplateau. Frohen Mutes machten sie sich an die Durchquerung des Spalts.
Rihnall schritt wie immer voraus, so weit, dass Süylin ihn aus den Augen verlor. Plötzlich ertönte ein Poltern und Donnern. Instinktiv drückte sie sich gegen eine Felswand. Dicht neben ihr gingen große Gesteinsbrocken nieder. Sie war vor Schreck gelähmt, ihr Atem ging keuchend und sie begann, vor Angst zu weinen.
Sie glaubte, der Felslawine würden weitere folgen, die sie alle unter sich begraben würden. Doch es blieb still. Als sich nichts tat, wagte sie, sich zu bewegen. Ängstlich hielt sie nach ihren Gefährten Ausschau. Bevan war ganz in ihren Nähe gewesen, doch nun konnte sie sie nirgends entdecken. Der Staub hatte sich noch nicht gelegt und trübte ihre Sicht. Sie rief Bevans Namen und zu ihrer Erleichterung erhielt sie eine Antwort. Gemeinsam mit ihrem Vater kam sie auf sie zu. Warf und Setor folgten. Keiner von ihnen schien ernsthaft verletzt.
„ Wo ist Rihnall?“, fragte Terak.
„ Er ging wie immer voraus. Hoffentlich ist ihm nichts geschehen“, antwortete Bevan.
Gemeinsam machten sie sich auf die Suche, riefen immer wieder seinen Namen. Eine Antwort aber blieb aus. Durch das Geröll konnten sie nur langsam tiefer in den Spalt vordringen. Ihre Angst wuchs. Hoffentlich fanden sie ihn bald. Warum antwortete er nicht, war er verschüttet worden? Sie hastete voran, kletterte auf allen Vieren über das Gestein, schrammte sie Hände und Knie auf. Doch sie spürte keinen Schmerz. Einzig Rihnall zählte in diesem Augenblick.
Dann sah sie ihn. Er lag
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