WELTEN-NEBEL
Gedanke auf, dass ihre Geburt die Lebenspläne ihrer Mutter zerstört hatte. Es war nicht so, dass sie jemals das Gefühl hatte, ungewollt gewesen zu sein, ihre Mutter hatte sie stets mit Liebe überschüttet. Doch es war nicht nur die Sehnsucht ihrer Mutter nach der Erforschung des Landes, die ihr zu denken gab, sondern auch die Tatsache, wie wenig sie über die Vergangenheit sprach. Es war fast so, als bereute sie etwas. Etwas, woran sie nicht erinnert werden wollte. Vielleicht hatte es ja mit Ihels Vater zu tun. Ihre Mutter hatte nie viel über ihn gesprochen, daher wusste Ihel kaum mehr, als dass er tot war. Einmal hatte sie ihre Mutter gefragt, ob sie ihn geliebt hätte. Die Antwort war rätselhaft gewesen. Ein 'Ja, leider.', mehr hatte sie damals nicht zu hören bekommen. Ihels Meinung nach war dies nicht die Art, wie man über seinen verstorbenen Ehemann sprach.
Die Vorbereitungen für ihre Reise waren abgeschlossen, es gab keinen Grund, die Abreise weiter hinauszuzögern. Dennoch konnte Peerin sich nicht dazu durchringen aufzubrechen. Und sie kannte den Grund für ihr Zögern nur allzu gut. Auf keinen Fall konnte sie ihre Tochter zurücklassen, ohne ihr vorher die Wahrheit gesagt zu haben. Vielleicht hätte sie es schon viel früher tun sollen, Gelegenheiten hatte es genug gegeben, immer wieder hatte Ihel Fragen gestellt, über Peerins Leben auf Elung, über ihren Vater. Doch stets hatte Peerin ihre Tochter mit Lügen und kurzen Antworten abgespeist. Je länger sie mit der Lüge gelebt hatte, umso unvorstellbarer war es ihr erschienen, die Wahrheit zu enthüllen. Am liebsten hätte sie auch jetzt darauf verzichtet, doch sie liebte ihre Tochter zu sehr, um ihr dies anzutun. Immerhin war es möglich, dass ihr auf ihrer Forschungsreise durch Atress etwas zustieß. Dann würde Ihel nie erfahren, wer ihr Vater war und warum es ihr nicht vergönnt gewesen war, ihn kennenzulernen.
Als sie nach der Abendmahlzeit beieinandersaßen, überwand sie sich daher.
„ Ihel, du weißt, ich werde bald für eine Weile fortgehen. Bevor ich aber aufbreche, muss ich dir noch etwas erzählen.“
Sie machte eine kurze Pause, wusste nicht ganz, wie sie beginnen sollte. Der gespannte Blick ihrer Tochter ruhte auf ihr.
Sie fuhr fort: „Zuerst aber muss ich dich um Verzeihung bitten, dafür, dass ich es dir erst jetzt erzähle. Auch wäre es mir lieb, du würdest mich ausreden lassen, bevor du Fragen stellst.“
Ihel nickte. Peerin wusste nicht, ob sie damit signalisieren wollte, dass sie ihr verzieh, oder ob es lediglich bedeutete, dass sie der zweiten Bitte entsprechen würde. Doch sie hielt sich nicht lange mit diesem Gedanken auf, war gewillt, endlich zum Kern der Sache vorzudringen. Sie holte nochmals tief Luft, dann sagte sie: „Ich habe dir stets erzählt, dass dein Vater noch vor deiner Geburt verstarb. Das entspricht nicht der Wahrheit. In Wirklichkeit verließ er mich, noch bevor ich wusste, dass es dich geben würde.“
Sie sah den fragenden Ausdruck im Gesicht ihrer Tochter. Um deren Fragen zuvorzukommen, sprach sie schnell weiter: „Sicher fragst du dich, wie dies möglich ist. Nun, wir waren nicht verheiratet und ich war für ihn wohl nur ein Abenteuer. Wir hatten nur einige gemeinsame Tage und Nächte, dann verschwand er spurlos. Er ließ mich mit einem gebrochenen Herzen zurück, denn obwohl ich ihn nur kurz kannte, hatte ich mich in ihn verliebt.“
Sie merkte, wie hart ihre Worte klangen. Sie ließen Liwam in einem schlechten Licht erscheinen. Dabei hatte sie sich vorgenommen, so neutral wie möglich über die Geschehnisse vor inzwischen fast siebzehn Jahren zu sprechen. Ihel sollte kein allzu schlechtes Bild von ihrem Vater bekommen. Um ihren Aussagen die Härte zu nehmen, fügte sie hinzu: „Natürlich wusste Liwam, so heißt dein Vater, nichts von meinen Gefühlen. Vielleicht glaubte er, auch ich wäre nur an einem Abenteuer interessiert. Möglicherweise hielt er es für nicht möglich, dass ich, eine Prinzessin, wirklich eine Beziehung mit ihm anstrebte.“
Ihel konnte wohl ihre Neugier nicht länger bezähmen, denn sie platzte mit einer Frage heraus: „Aber welche Frau lässt sich schon mit einem Mann ein, wenn sie nicht vorhat, ihn zu heiraten? Er musste doch wissen, dass sich keine Frau leichtfertig einem Mann hingibt. Ihr Ruf wäre für immer zerstört.“
„ Nun, diese Ansicht vertreten die Menschen in Elung und Atress, doch das heißt nicht, dass es überall so ist. Du musst wissen,
Weitere Kostenlose Bücher