WELTEN-NEBEL
beiseite und begab sich in den Speiseraum, um dort mit den elungischen Gesandten und Gelehrten zu essen.
Die gemeinsamen Mahlzeiten dienten dem Austausch über Erkenntnisse ebenso wie der belanglosen Plauderei. Auch wenn Ihel sich keinem der Elunger in echter Freundschaft verbunden fühlte, so hatte sie doch zu allen zwanzig Mitgliedern der Expedition ein gutes Verhältnis und schätzte deren Gesellschaft. Auch hatte sie ihnen viel zu verdanken. Stets unterstützten sie sie, wohl nicht nur, weil Süylin es ihnen aufgetragen hatte. Nie hatte sich jemand abfällig oder spöttisch über ihr Bestreben, ihren Vater zu finden, geäußert, auch wenn wohl keiner ihre Motive wirklich verstand. Manchmal verstand sie sie ja selbst nicht. Anfangs, damals in Atress, war es nur der Wunsch einer jungen Frau gewesen, mehr über ihre Herkunft zu erfahren. Inzwischen aber war es mehr als das, denn sonst hätte sie angesichts der langwierigen Suche bestimmt schon aufgegeben. Es war ihr nicht möglich, ihr Verlangen nach einem erfolgreichen Ende ihrer Suche in Worte zu fassen. Es gab Zeiten, da war das Gefühl dermaßen stark, dass es alles andere überlagerte und sie trotz anscheinend aussichtsloser Situationen fortfahren ließ. Nicht nur einmal hatte es ja den Anschein gehabt, als sei ihre Suche vergeblich. Genau genommen war schon ihr Aufbruch aus Atress unvernünftig gewesen. Für die wage Hoffnung auf ein Kennenlernen mit ihrem Vater hatte sie ihr geregeltes Leben aufgegeben. Spätestens als sie im Geburtsort ihres Vaters vom Tod ihrer Großmutter und dem Verschwinden ihres Vaters erfahren hatte, hätte sie eigentlich einsehen müssen, wie dumm ihr Vorhaben war. Sie aber hatte weiter gemacht und irgendwie war es ihr gelungen, immer neue Hinweise zu finden. Nun hatten die Götter ihr ihre Hartnäckigkeit mit dieser Vision vergolten, die sie noch nicht zu deuten wusste, die ihr jedoch deutlich zeigte, dass ihre Suche dem Willen der Götter entsprach.
„ Ihel. Ihel.“
Sie schreckte hoch. Ganz in Gedanken versunken hatte sie nicht bemerkt, dass einer der Gelehrten das Wort an sie gerichtet hatte. Ihr Essen hatte sie noch nicht einmal angerührt. Sie blickte auf.
„ Ja, was hast du gesagt?“
„ Ich habe dich gefragt, wo du heute gewesen bist.“
„ Im Tempel.“
Sie bemühte sich, ihre Aufmerksamkeit nun auf das Essen und die Gespräche zu richten. Von ihren Erlebnissen im Tempel erwähnte sie nichts.
Drei Tage grübelte sie nun schon über den Bildern ihrer Vision. Sie hatte sie in allen Einzelheiten beschrieben, war ihre Aufzeichnungen immer wieder durchgegangen. Ihel wusste, die göttliche Vision war ihr nicht ohne Grund zuteilgeworden, doch sie tat sich schwer mit deren Deutung. Hatte sie den Weg gesehen, der ihr vorbestimmt war? Sollte sie die Orte aufsuchen? Würde am Ende ihrer Reise ein Zusammentreffen mit ihrem Vater stehen? Oder war dies alles zu einfach gedacht? Nach langem Grübeln entschied sie, zu akzeptieren, dass sie die Wahrheit nur herausfinden würde, wenn sie handelte, weiteres Nachdenken führte zu keinem Ergebnis. Sie nahm die Reihenfolge als gegeben hin und begann mit der Interpretation der ersten Bilder: ein Wald und ein schwarzer Würfel. Sie glaubte zu wissen, welche Ort gemeint war: der Würfel im Uralt-Wald, der schon in der Geschichte der Sechs und auch in der ihrer Töchter eine Rolle gespielt hatte. Vielleicht würde der Würfel dort auch ihr Informationen offenbaren, die ihre Reise betrafen. Sie konnte es nur feststellen, wenn sie dorthin reiste.
Die Gelehrten waren nicht einverstanden mit ihrem Wunsch, erneut alleine durch Cytria zu reisen, zumal es diesmal um eine wesentlich weitere Reise ging. Bis in den Uralt-Wald wäre sie wohl einen Mond unterwegs. Die Reise in das Dorf der Großen Ebene war erheblich kürzer gewesen und außerdem entsprach sie den ursprünglichen Plänen. Hingegen musste das Aufsuchen des Uralt-Waldes den anderen Elungern wie eine fixe Idee erscheinen, wussten sie doch nichts von der göttlichen Eingebung. Ihel war auch nicht bereit, es ihnen zu offenbaren, vielmehr stritt sie mit den anderen um die Erlaubnis, gehen zu dürfen. Letztendlich einigte man sich darauf, dass Ihel einen ortskundigen Führer suchen sollte, der sie begleiten würde. Ihr war es gleich und sie machte sich auf die Suche nach einer geeigneten Person. Doch auch wenn in der Hauptstadt kein Mangel an allerlei Dienstleistungen bestand, ein Führer in den Uralt-Wald war nicht so einfach zu
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