WELTEN-NEBEL
befördert hätte. Nirgends tauchte der Name ihrer Großmutter auf. Sie würde wohl doch einen genaueren Blick auf die Aufzeichnungen werfen müssen. Sie wollte mit einem Werk beginnen, dass den Titel 'Die Sechs' trug. Als sie es aufschlug, fiel ihr auf, dass eine der ersten Seiten zusammengefaltet war. Man konnte sie ausklappen, was sie auch tat. Kleine Lettern und ein zunächst unübersichtliches Gewirr von Linien bedeckten das Blatt. Sie schaute genauer hin. Die Worte waren Namen: Carlynn, Aden, Jeven, Peria und viele mehr konnte sie entdecken. Hier waren wohl die Familien der Sechs aufgeführt. Sie las jeden Namen, bis sie den gesuchten entdeckte: Awija. Darunter stand die Zahl 3645, das Geburtsjahr ihrer Großmutter. Eine Linie führte von dem Namen nach oben, gabelte sich und führte zu zwei anderen: Torren und Tira. Tira, das war doch Zadas Schwester. Darin bestand also Awijas Verbindung zu den Sechs, die Helwanerin Tira war ihre Mutter und somit Ihels Urgroßmutter. Laut des Stammbaumes hatten Torren und sie noch zwei weitere Kinder gehabt, die jedoch beide älter waren als Awija. Es bestand daher wohl keine Chance, dass diese noch lebten. Höchstens deren Kinder, doch wie sollte sie dies herausfinden? Ob es außer Liwam überhaupt Enkel von Tira und Torren gab? Verzeichnet waren hier keine. Sie würde ihre Suche an anderer Stelle fortsetzen müssen. Sie notierte sich die Namen von Tiras Kindern und schloss das Buch.
Der Zufall kam ihr zu Hilfe. Sie beriet sich mit einem der elungischen Gelehrten, wollte von ihm einen Rat, wie sie bei ihrer Suche weiter vorgehen sollte. Auch zeigte sie ihm, was sie bisher herausgefunden hatte. Entgegen ihrer sonstigen Gewohnheiten sprachen sie dabei Zyn, wohl unter dem Eindruck der zuvor gelesenen Texte. Daher konnte der cytrianische Beamte, der ihnen als Hilfe bei der Sichtung des Regierungsarchivs zu Seite gestellt worden war – Ihel mutmaßte, dass er auch überwachen sollte, was die Elunger taten –, ihr Gespräch verfolgen. Durch ein Räuspern machte der Mann, der sicher schon mehr als sechzig Sommer gesehen hatte, auf sich aufmerksam. „Entschuldigt, vielleicht kann ich Euch behilflich sein. Tira ist meine Großmutter, ich bin der Sohn ihrer Tochter Tellana. Awija, über die Ihr etwas zu erfahren sucht, ist meine Tante. Allerdings nehme ich an, dass sie schon lange tot ist.“
„ Das ist mir bekannt. Sie starb vor nunmehr zwanzig Jahren.“
„ Warum versucht Ihr, etwas über sie zu erfahren?“
Ihel überlegte, ob sie dem Mann wirklich ihre gesamte Geschichte offenlegen sollte. Doch sie war auf seine Informationen angewiesen.
„ Sie ist meine Großmutter.“
„ Ihr müsst Euch irren, Awija hatte keine Kinder.“
„ Doch, einen Sohn, Liwam. Sie schenkte ihm im Jahre 3680 das Leben.“
Der Mann schien zu überlegen, prüfte ihre Aussage wohl auf ihren Wahrheitsgehalt. Schließlich nickte er.
„ Möglich wäre es. Ich war neun Jahre alt, als Awija Aaran verließ. Das muss also“, er machte eine Pause, wohl um nachzurechnen, „im Jahr 3679 gewesen sein. Danach haben wir nie wieder etwas von ihr gehört. Wenn ich es recht bedenke, könnte sie damals wohl schon schwanger gewesen sein. Es gab da einen Mann, mit dem sie sich heimlich traf.“
Er machte eine Pause, wusste wohl nicht, ob seine Ausführungen für sie von Interesse waren. Sie musste unbedingt mehr erfahren. Der Mann, den Awija im Geheimen getroffen hatte, war möglicherweise ihr Großvater. „Bitte, könnt Ihr mir mehr darüber erzählen?“
„ Ich weiß nicht viel, wie gesagt, Awijas Treffen mit dem Mann fanden im Verborgenen statt.“
„ Woher wisst Ihr dann davon?“
„ Ich war noch ein Junge und sehr neugierig. Ich bin ihr gefolgt. Awija war unverheiratet und lebte daher bei meinen Eltern, sodass ich ihr sehr nah stand. Doch das war es nicht, was mich ihr folgen ließ. Vielmehr begab es sich, dass bisweilen Lebensmittel aus unserer Speisekammer verschwanden. Meine Mutter verdächtigte mich, doch ich war unschuldig. Daher setzte ich alles daran, herauszufinden, wer der eigentliche Dieb war. Ich hatte meine Geschwister im Verdacht und war erstaunt, als ich sah, wie Awija ein Stück Schinken mitgehen ließ. Bis heute weiß ich nicht, warum sie das tat, als Heilerin verdiente sie genug, um Lebensmittel auf dem Markt zu erstehen. Wahrscheinlich war sie zu beschäftigt dazu und dachte, niemand würde es merken. Ich wollte sie damals gleich zur Rede stellen, doch dann obsiegte die Neugier,
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