WELTEN-NEBEL
wieder spüren, ebenso wie Waylens Gegenwart. Er stand dicht neben ihr, seine große, kräftige Hand umschloss die ihre. Vorsichtig öffnete sie die Augen. Alles um sie herum wirkte wie in einen rosa Nebel gehüllt. Nur mühsam konnte sie einige nahe Bäume ausmachen. Erst allmählich begriff sie, dass es wirklich Nebel war, der ihren Blick trübte. Nebel in der Wüste? Aber nein, das war nicht möglich. Mit ihrem Schritt in das Licht hatten sie die Oase verlassen. Doch wo waren sie nun? Da die Sonne an diesem Ort gerade erst im Begriff war, unterzugehen, während es in der Wüste tiefste Nacht gewesen war, mussten sie sich westlich oder sehr weit östlich ihrer ursprünglichen Position befinden. Natürlich nur, wenn sie lediglich durch den Raum und nicht auch durch die Zeit gereist waren. Nach diesem Erlebnis hielt sie Letzteres nicht mehr für ausgeschlossen. Wer wusste schon, wozu die Götter fähig waren.
Um einen Eindruck von ihrer Umgebung zu gewinnen, ging sie einige Schritte, schaute sich um. Es gab keine Anzeichen, dass irgendjemand außer ihnen hier war. Ihr Ankunftsort war eine Baumgruppe auf einer Wiese. Im näheren Umkreis entdeckte sie noch einige weitere vereinzelt stehende Bäume und Sträucher, doch nichts, was einen Hinweis auf ihren Aufenthaltsort gab.
„ Was meinst du, wo wir sind?“, fragte sie Waylen.
„ Ich weiß es nicht. Dies hier ist keiner der Orte aus deiner Vision, oder?“
„ Nein. Wenn es nach dieser ginge, wäre unser nächstes Ziel ein Haus in den Bergen. Und wenn ich eines mit Bestimmtheit sagen kann, dann, dass wir nicht in einem Gebirge sind. Vielmehr glaube ich, wir sind in der Nähe vom Meer. Ich glaube, ich kann den Ozean riechen.“
„ Jetzt, wo du es sagst. Dieser verdammte Nebel, wenn man doch nur mehr sehen könnte. Hoffentlich hat er sich bis morgen verzogen.“
Bei der Erwähnung des Nebels kam ihr ein Gedanke. Was war, wenn sie sich in Martul befänden? Das würde den Nebel erklären.
Sie sagte: „Das wird er wohl nicht. Wenn meine Vermutungen richtig sind, befinden wir uns in Martul, oder vielmehr am Rand davon. Dies ist der Nebel, der das Land von der Außenwelt trennt.“
„ Du könntest recht haben. Aber warum haben uns die Götter hierher versetzt und nicht direkt an unseren Zielort?“
„ Sie wollen uns wohl prüfen. Wir müssen den Weg durch den Nebel wohl alleine finden.“
„ Aber wie?“
„ Ich weiß es nicht. Sobald es wieder hell wird, werden wir die Umgebung erkunden. Sie bietet sicher irgendwelche Anhaltspunkte.“
Tag 3 im Nebel
Kleine Insel vor der Küste, Martul
Zwei Tage hatten sie gebraucht, dann waren sie sich sicher: Sie befanden sich auf einer Insel. Hier würden sie auf keinen Fall finden, wonach sie suchten. Daher galt es zunächst einmal, von dieser Insel herunterzukommen. Dazu würden sie aber ein Schiff brauchen, schwimmend würden sie nicht weit kommen, zumal sie nicht wussten, in welche Richtung sie sich wenden mussten, um die Küste Martuls zu erreichen.
Obwohl er fieberhaft nachdachte, wollte ihm nicht einfallen, wie sie an ein Schiff kommen sollten. Zwar gab es auf der Insel genug Holz, um ein einfaches Floß daraus zu zimmern, doch es fehlte ihnen an Werkzeugen. Sie hatten nicht mehr als ein Messer. Damit konnten sie unmöglich Bäume fällen. Doch irgendeine Möglichkeit musste es geben. Oder sollten sie doch schwimmen? Vielleicht sollte er in den nächsten Tagen einfach probehalber so weit hinausschwimmen, dass er den Rückweg noch gerade so schaffte. Doch diesen Versuch in alle Richtungen zu unternehmen, würde einige Zeit in Anspruch nehmen, und der Erfolg war mehr als ungewiss. Wenn man doch nur weiter sehen könnte, dann könnten sie vielleicht doch irgendwo eine Küstenlinie ausmachen. Die Lage schien ihm nahezu aussichtslos. Sein einziger Trost war die Tatsache, dass sie nicht Hunger und Durst leiden mussten. Obwohl es noch früh im Jahr war, trugen einige der Büsche Früchte und mehrere Quellen auf der Insel spendeten frisches Wasser.
Tag 6 im Nebel
Kleine Insel vor der Küste, Martul
Während Waylen nahezu ununterbrochen rastlos umherlief, hatte sie schon entschieden, dass es sinnlos war, nach einem Weg von der Insel zu suchen. Mit ihren begrenzten Mitteln waren sie nicht in der Lage, ein Schiff zu bauen, nicht mal ein ganz einfaches. Ihr Schicksal lag nun in der Hand der Götter. Also betete Ihel und hoffte auf Antworten.
Vielleicht war es falsch gewesen, das Portal zu durchschreiten.
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