WELTEN-NEBEL
Aufgabe verunsichert genug.
Besonders bei Zada hatte sie einen besorgten Gesichtsausdruck bemerkt. Was die junge Priesterin auch immer belastete, Carlynn nahm sich vor, bei Gelegenheit ein Gespräch mit ihr zu führen, um ihr zu zeigen, dass sie nicht allein war. Auch wenn die drei von den Göttern auserwählt waren, durfte man nie vergessen, wie jung sie noch waren, fast noch Kinder. Spontan stand sie auf und umarmte nacheinander Mawen, Zada und Darija. Als sie ihre Tochter in den Armen hielt, liefen ihr Tränen über die Wangen.
Darija war überrascht vom emotionalen Ausbruch ihrer Mutter. Bisher hatte sie sich kaum Gedanken darüber gemacht, wie sie sich bei der ganzen Sache fühlte. Ob der ganzen Aufregung um die Mission hatte sie kaum an ihre Eltern gedacht. Wie egoistisch sie doch gewesen war. All ihre Überlegungen hatten sich stets darum gedreht, was der göttliche Auftrag für sie bedeutete. Sie erwiderte die Umarmung ihrer Mutter und wartete, bis diese sich beruhigt hatte und sich von ihr löste. Danach setzten sie die Abendmahlzeit fort und versuchten, ein unbefangenes Gespräch zu führen.
Jahr 3619 Mond 8 Tag 8
Jal
Heute würden sie mit der Beladung des Schiffes beginnen. In drei Tagen würden sie aufbrechen. Nach endlosen Diskussionen hatten sie sich darauf geeinigt, dass zehn Tage als Sicherheit genügen mussten. Es würde ohnehin schwierig, ausreichend Proviant auf dem kleinen Schiff unterzubringen. Die letzten Tage hatte ein jeder auf seine Weise verbracht. Während Mawen die meiste Zeit dem Studium der Karten und der Vervollkommnung seiner Sprachkenntnisse gewidmet hatte, hatte Darija so viel Zeit wie möglich mit ihrer Familie verlebt.
Zada aber hatte jeden Tag den Tempel aufgesucht und auch sonst viel Zeit mit Beten und Meditation verbracht. Doch noch immer erhielt sie keine Antwort von den Göttern. Je näher der Tag der Abreise rückte, umso schwerer fiel es ihr, ihre Unsicherheit zu verbergen. Was war, wenn sie die Götter irgendwie erzürnt hatte? Bisher war ihr Leben stets vorgezeichnet und klar gewesen, das Leben bei ihrer Familie und später dann das Leben im Tempel. Die Regeln und Rituale des Priesterinnenlebens hatten ihr immer Halt und Sicherheit gegeben. Umso beängstigender war die ganze Reise für sie. Vom Zwiegespräch mit den Göttern hatte sie sich die Ruhe und Zuversicht erhofft, die ihr so schmerzlich fehlte. Anfangs hatte ihr das Beten und Meditieren gereicht, doch je länger die Reaktion der Götter auf sich warten ließ, desto unsicherer wurde sie. Auch fühlte sie sich einsam, obgleich sie doch von ihr wohlgesonnenen Menschen umgeben war. Wie sehr wünschte sie sich, einfach in den Tempel von Aaran zurückkehren zu können, zu Yerina und zu ihrer Familie. Doch tief in ihrem Inneren gab es da noch eine andere Stimme, ein Sehnen nach ihrer ursprünglichen Heimat Helwa. Doch stärker als der Wunsch ihr Geburtsland wiederzusehen, waren die Ängste, dass es nicht so wäre, wie sie es in Erinnerung hatte, dass sie ihre leiblichen Eltern nicht finden würde. Möglicherweise war das, was sie für Erinnerungen hielt, doch nur eine Einbildung. Je länger sie über die Erinnerungen nachgedacht hatte, desto unwirklicher waren sie ihr erschienen.
Alle diese Gedanken trieben sie um, während sie sich bemühte, ihren Teil zur Vorbereitung der Reise beizutragen. Da es sonst kaum noch etwas zu tun gab, ging sie an diesem Tag Carlynn zur Hand, die haltbaren Proviant zusammenstellte, der am nächsten Tag verladen werden sollte. Ganz versunken in ihre Gedanken, reagierte sie nicht, als Carlynn sie ansprach. Erst als sie deren Hand auf ihrem Arm spürte, wandte sie sich Darijas Mutter zu. Diese schien bemerkt zu haben, dass ihre Worte Zada nicht erreicht hatten, denn sie wiederholte sie: „Ich denke, für heute haben wir genug gearbeitet. Ich möchte Euch etwas zeigen. Kommt und begleitet mich auf einem Spaziergang.“
Gemeinsam verließen sie die Stadt und erklommen über einen gewundenen Pfad die Klippen, die mit ihren grünen Hängen über der Stadt aufragten. Als sie den höchsten Punkt erreichten, setzte sich Carlynn nieder und bedeutete Zada, es ihr gleichzutun. Den ganzen Weg über hatten sie geschwiegen, nun aber begann Carlynn zu erzählen: „Ihr müsst wissen, dass dies ein besonderer Ort für mich ist. Hier oben, ganz in der Nähe, ist meine Mutter begraben. Noch immer zieht es mich hierher, wenn ich Sorgen habe oder über irgendetwas nachdenken muss. Der Ort
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