WELTEN-NEBEL
schwarzen Würfel ausgingen. Da sie die gleißende Helligkeit trotz ihrer geschlossenen Augenlider hatte erahnen können, hatte Zada jedoch nicht gewagt, die Augen zu öffnen. Mit dem Zittern erstarb auch die Helligkeit und blinzelnd öffnete sie die Augen. Was sie sah, raubte ihr zunächst den Atem. Als sie sich gefangen hatte, entwich ihr unwillkürlich der Name ihrer Heimat. Sie wollte noch so viel mehr sagen, doch ihr fehlte die Kraft. Sie musste sich setzen.
Hätte er sie nicht aufgefangen, sie wäre sicher gefallen. Behutsam half Mawen Zada, sich niederzusetzen. Die Karte, die auf dem Würfel erschienen war, hatte auch ihn in Erstaunen versetzt, Zada jedoch schien überwältigt. Wahrscheinlich schossen ihr gerade Tausende Bilder und Erinnerungsfetzen durch den Kopf. So gern er sie danach fragen wollte, so wusste er doch, dass sie Zeit brauchte, um sie zu sammeln. Als er sie sicher sitzend wusste, widmete er sich daher wieder dem Würfel. Er umrundete ihn, um einen Blick auf die anderen Seiten zu werfen. Anders als beim Heiligen Würfel im Tempel von Aaran, waren hier vier der Flächen unverändert geblieben. Neben der Fläche, die Darija berührt hatte, wies nur eine weitere Fläche eine sichtbare Veränderung auf: jene, die an die obere Kante der Fläche mit der Karte Helwas grenzte. Auf ihr war deutlich eine kartografische Abbildung Cytrias zu sehen und dies in einer Genauigkeit, die Mawen noch bei keiner anderen Karte gesehen hatte. Er wies Darija, die versunken auf das Abbild Helwas starrte, auf seine Entdeckung hin. Während Zada sich im Gras ausgestreckt erholte, verbrachten sie den Nachmittag damit, die beiden Karten genauer zu studieren. Auch wenn die Karte Helwas die für sie interessantere war, blieb auch die Cytrias nicht unbeachtet. Von dieser wollte Mawen ebenfalls eine Kopie anfertigten, da er von der Genauigkeit der Darstellung beeindruckend war. Während er bereits mit der Anfertigung der Kopien beschäftigt war, untersuchte Darija noch die Details der Darstellungen. Gelegentlich wies sie ihn auf Besonderheiten hin.
Darija war fasziniert von den Abbildungen. Ein solcher Reichtum an Feinheiten und dazu die reliefartige Struktur. Nie war eine solche Karte von Menschenhand erschaffen worden, das vermochten wahrlich nur die Götter. Allerdings wäre es vielleicht möglich, etwas Ähnliches zu schaffen, indem man Karten aus Ton formte, dann könnte man ebenfalls Vertiefungen und Höhenzüge einfügen. Jedoch erforderte es sicher einiges an Geschick und Übung sowie eine genaue Kenntnis der Geografie des abgebildeten Gebietes. Sicher würden, sobald es bekannt würde, viele Gelehrte und Zeichner kommen, um dies hier zu studieren und nachzuahmen. Sie schaute zu Mawen hinüber, dessen Skizze der Karte Helwas bereits fortgeschritten war. Auf Papier wirkte es so unspektakulär und gewöhnlich.
Langsam kam Zada wieder zu Kräften, ihr Atem ging wieder ruhig und gleichmäßig und ihr Herz schlug ihr nicht mehr bis zum Hals. Beim Betrachten der Karte Helwas war eine Flut von Bildern über sie hereingebrochen. Es war ihr unmöglich gewesen, einen klaren Gedanken zu fassen. Es war, als wäre der letzte Schleier über ihrer Erinnerung zerrissen worden. Während die Erinnerungen bisher nur vereinzelt aufgetaucht waren, war sie nun von ihnen überwältigt und niedergerungen worden. Es war ihr unmöglich gewesen, Ordnung in das Chaos von Erinnerungsfetzen zu bringen, daher hatte sie sie zunächst mit aller Macht verdrängt, was ihr nun auch endlich gelungen war. Sie würde zu einem späteren Zeitpunkt versuchen, dies alles mit Hilfe von Gebet und Meditation zu verarbeiten und zu sortieren. Jetzt aber war es an der Zeit, ihre Gefährten zu unterstützen.
Sie erhob sich und ging zu Darija hinüber, die noch immer die Karte Helwas studierte. Vorsichtig wagte auch sie einen Blick, darauf vorbereitet, erneut von Bildern heimgesucht zu werden. Doch ihre Bemühungen, sich zu beruhigen, schienen erfolgreich gewesen zu sein. Sie konnte die Karte ausgiebig betrachten und es geschah nichts. Darija, die ihr Hinzutreten inzwischen bemerkt hatte, wies sie auf die zweite Karte hin, die die Fläche oberhalb zierte. Das Abbild Cytrias war für Zada fast ebenso fremd wie das Helwas. Durch das Leben im Tempel hatte sie noch nicht viel von Land gesehen. Ihre Reise in den Uralt-Wald war die erste Gelegenheit gewesen, Aaran zu verlassen. Daher musste sie Darija um einige Erklärungen zur Topografie bitten.
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