WELTEN-NEBEL
diese Richtung angedeutet.
„ Mawen hat Euch sicher schon von der Wintersonnenwende erzählt.“
„ Nein, er meinte, dies wäre etwas, was Ihr mir deutlich besser erzählen könntet. Schließlich seid Ihr eine Priesterin.“
Es war das erste Mal seit langer Zeit, dass sie jemand als Priesterin bezeichnete. Sie selbst hatte sich schon lange nicht mehr so gesehen. An diesem Tag aber war es nur richtig, sich wieder darauf zu besinnen. Sie begann, Elec von der Bedeutung des Rituals zur Wintersonnenwende zu erzählen. Da der Prinz Interesse zeigte, legte sie alle Details dar, die sie über die Geschichte der Sechs wusste. Auch die alljährlich im Tempel stattfindende Zeremonie beschrieb sie so gut sie es vermochte. Sie schloss mit den Ereignissen der letzten Wintersonnenwende, die dazu geführt hatten, dass sie ihre wahre Herkunft entdeckt hatte und nun in Helwa weilte.
Elec fragte: „Meint Ihr, es wäre angebracht, den Göttern jetzt nicht nur für den Erfolg der Sechs zu danken, sondern auch dafür, dass sie euch hierher geführt haben?“
Zada nickte und kniete sich auf das weiche Gras.
„Wartet, ich fürchte, Ihr müsst mir erklären, wie man betet. Dies gehört hier in Helwa nicht zur Ausbildung eines Prinzen.“
„ Beten ist nichts weiter, als den Göttern sein Herz zu öffnen.“
„ Aber was ist mit den Ritualen und dem Niederknien?“
„ Wenn man es genau nimmt, so sind das nur Hilfsmittel, um sich auf das Gespräch mit den Göttern einzustellen.“ Während sie dies sagte, erhob sie sich von den Knien. Sie fühlte, dass sie in diesem Moment keine Rituale brauchte. Sie war bereit, ohne Vorbereitung und mit offenem Herzen vor die Götter zu treten, vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben. Sie fuhr fort: „Die Götter legen keinen Wert auf Rituale. Sprecht mit dem Herzen zu ihnen und sie werden Euch erhören.“
Der Prinz nickte und legte sich mit geschlossenen Augen rücklings ins Gras. Sie wusste, dass er sogleich verstanden hatte, was ihr selbst erst in diesem Augenblick klar geworden war. Sie richtete sich vollends auf, um ihren Blick vom Hügel über die umgebende Landschaft und das dahinter liegende Meer schweifen zu lassen. Tief nahm sie Helwa in sich auf, um dann die Augen zu schließen und an Cytria zu denken. Diese Kombination war es, die sie sich vollständig fühlen ließ. Es brauchte keine Anstrengung, um den Kontakt mit den Göttern herzustellen. Das Göttliche umgab sie, umhüllte sie, durchdrang sie und sie ließ es geschehen. Ihre Gedanken flossen ungehindert, Sorgen, Freuden, sie hielt nichts zurück und brachte alles vor die Götter.
Als sie ihre Augen nach einer Weile wieder öffnete, fühlte sie eine nie gekannte Stärke. Nie wieder würde sie von nun an vergeblich auf ein Zeichen der Götter warten müssen. Das Göttliche war in ihr und nun wusste sie auch, wie sie Zugang dazu fand.
Der Prinz schien ein ähnlich beseelendes Erlebnis gehabt zu haben, denn als sie sich zu ihm umwandte, stand er unweit und strahlte vor Glück. Mit wenigen Schritten war er bei ihr und schon fand sie sich in seiner Umarmung wieder. „Danke“, sagte er.
Sie löste sich aus seinen Armen und sprach lächelnd: „Ich muss Euch danken.“
Lange Zeit standen sie nur schweigend da, beide noch bewegt von ihrer Begegnung mit den Göttern. Elec wusste, dass ihn dieser Tag für immer verändert hatte.
Jahr 3620 Mond 1 Tag 17
Südküste von Helwa
Nun waren sie seit fast zwei Monden in Helwa unterwegs. Noch immer zogen sie durch die Siedlungen und kleinen Städte der Südküste. Auch wenn sich vieles ähnelte, so entdeckte er auch immer wieder neue Dinge. Manchmal dauerte es die halbe Nacht, um die Erlebnisse des Tages niederzuschreiben. Zwar erhielt er Hilfe von Elec und auch Zada, doch den Großteil der Arbeit erledigte er selbst. Daher kam er kaum dazu, Elec den versprochenen Sprachunterricht zu erteilen. Es waren Zada und Darija, die diese Aufgabe übernahmen. Zu seinem Erstaunen schien Darija Freude am Unterrichten zu haben. Die junge Schiffbauerin konnte zwar nicht mit fundiertem Sprachwissen aufwarten, wie Mawen es vermocht hätte, aber dafür ließ sie sich immer lustige Geschichten und Dialoge einfallen, um dem Prinzen das Lernen zu erleichtern. Auch der Prinz schien Darijas Unterricht zu genießen. Bisweilen sah Mawen von seinen Aufzeichnungen auf und fand die beiden in einem angeregten Gespräch, das nur von Gelächter unterbrochen wurde. In solchen Momenten war es Mawen nur
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