WELTEN-NEBEL
Verlust und sie weichten den Schutzschild auf, das er um sein Herz errichtet hatte. Aller Schmerz, aller Gram brachen sich Bahn und strömte aus ihm heraus. Das Übermaß an Gefühlen ließ ihn auf die Knie sinken und er vergrub sein Gesicht in den Händen. Nur langsam verringerte sich die Heftigkeit des Schmerzes und ließ Raum für andere Emotionen und Gedanken. Er verspürte Dankbarkeit für die Zeit, die er mit Mawen hatte verbringen dürfen. Der Gelehrte hatte ihm so viel beigebracht, ihm so viel gegeben und nun konnte er es ihm nicht mehr vergelten. Doch wenn es ihm auch unmöglich war, sein weiteres Leben mit ihm zu teilen, so würde er sein Leben nun Mawens Traum widmen, einer Freundschaft ihrer beiden Völker. Vielleicht stimmte es ja, was Zada gesagt hatte und die Toten umgaben die Lebenden. So würde Mawen wenigstens diesen Beweis seiner Liebe sehen können.
Kurz nach Mawens Tod war er zu sehr von Sinnen gewesen, um über seine Liebe zu dem Gelehrten nachzudenken. Er hatte nur erkannt, dass er Mawen liebte. Auf welche Weise war damals nebensächlich gewesen. Jetzt aber hatte er das Verlangen, dieses Wort 'Liebe' mit Inhalt zu füllen. Das war er Mawen schuldig. Es war nicht ungewöhnlich, dass Männer einander liebten, aber auf eine Art und Weise, wie es Brüder zu tun pflegten. Elec aber war bewusst, dass seine Empfindungen Mawen gegenüber anderer Natur gewesen waren. Die Anziehung, die zwischen ihnen bestand, war schon bei ihrem ersten Zusammentreffen zu spüren gewesen und war in dem Maße gestiegen, in dem sie einander besser kennenlernten. Zunächst hatte sie nur auf geistiger und intellektueller Ebene bestanden, doch spätestens in jener Nacht am Rande der Wüste hatte er gespürt, dass sie sich auch auf die körperliche Ebene erstreckte. In Helwa wurde eine körperliche Beziehung zwischen zwei Männern als Frevel angesehen und früher war Elec geneigt gewesen, dem zuzustimmen. Vielleicht war es besser, dass Mawen nicht mehr bei ihm war, denn Elec wusste nicht, ob er je die Kraft gefunden hätte, in vollem Umfang zu seinen Gefühlen zu stehen.
Möglicherweise war das der Grund, der die Götter bewogen hatte, ihm seine Liebe zu entreißen. Wie sollte er mit der Schuld leben, dass Mawen seinetwegen gestorben war? Er würde alles dafür geben, um nur noch einige Momente mit Mawen verbringen zu können, ihm zu sagen, wie sehr er ihn liebte, ihn zu umarmen, ihn zu küssen.
Er betete zu den Göttern, auf dass sie seinen Seelenschmerz linderten.
Das Licht verlosch. Sie blinzelte. Wo war sie? Das war nicht der Tempel und auch nicht die Oase. Üppiges Grün umgab sie. Sie ging einige Schritte und fand sich auf einem gepflegten Kiesweg wieder. Dies war ein Garten und er kam ihr bekannt vor. Vielleicht würde sie Elec hier im Palast finden. Sie lenkte ihre Schritte in Richtung des Gebäudes.
Als er seinen Blick hob und sich aufrichtete, sah er eine Gestalt. Hatte er nicht eindeutige Anweisungen gegeben? Niemand sollte sich im Palastgarten aufhalten, er wollte nicht gestört werden. Er ging auf den Eindringling zu, um ihn zur Rede zu stellen, und erstarrte. Sein Gegenüber war nur in ein zerschlissenes Hemd gekleidet und es hatte verblüffende Ähnlichkeit mit Mawen.
„ Mawen?“, stammelte Elec.
„ Ja. Ich meine: Nein. Doch, irgendwie schon. Aber auch wieder nicht. Mein Name ist Madia.“
„ Madia.“ Flüsternd wiederholte er ihren Namen. Sie sah ihm an, wie verwirrt er war.
„ Ich bin die, die ich in meinem Inneren immer war, aber mir nie zugestand zu sein. Nun aber gibt es keinen Weg dahin zurück. Mawen ist im Sandsturm gestorben, doch abgesehen von Äußerlichkeiten ist Madia wie er.“
„ Wenn das so ist, so schulde ich Euch noch eine Antwort.“
Madia wusste nicht, was Elec damit sagen wollte. „Was meint Ihr?“
Elec trat dicht an sie heran. „Ich liebe dich auch, Madia.“
Noch ehe sie die Bedeutung der Worte in Gänze erfasste hatte, zog er sie an sich und küsste sie. Ihre Lippen öffneten sich wie von selbst, ihre Zungen erkundeten den Mund des anderen, sanft knabberte er an ihrer Unterlippe.
Auch wenn sie viele Fragen hatte, dies war nicht der Moment für Erklärungen. Zu lange hatten sie darauf warten müssen, ihre Körper sprechen zu lassen.
Sie liebten einander im Schatten des Daro-Baumes.
Danach lagen sie schweigend im Gras, Madias Kopf war auf Elecs Brust gebettet. Nach einer Weile küsste Elec ihre Stirn und sagte: „Ich fürchte, wir müssen
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