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WELTEN-NEBEL

WELTEN-NEBEL

Titel: WELTEN-NEBEL Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anja Buchmann
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versuchte, dies ihrer Mutter begreiflich zu machen, erhielt sie stets die gleiche Antwort: Es sei eine ehrenvolle Aufgabe und sie wolle ihrer Familie doch keine Schande bereiten, indem sie sich dem Willen der Eltern widersetzte. Dann sollte doch ihre jüngere Schwester Kila diesen Weg einschlagen. Doch dies war undenkbar. Sicher wäre Kila frei, zu tun, was immer ihr beliebte. Schon mit ihren zwei Jahren konnte sie ihre Mutter um den Finger wickeln. Alle Liebe und Aufmerksamkeit der Mutter richtete sich auf sie, sodass für Ewen nur die Ermahnungen und Schelte übrig blieben. Sie tat die letzten Stiche und stapelte die Tücher auf. Vielleicht konnte sie ungesehen aus der Küche und dem Haus schlüpfen, bevor ihre Mutter sich ihrer Anwesenheit wieder bewusst wurde.
    In diesem Moment aber schaute ihre Mutter auf. Sie fragte: „Bist du endlich fertig? Dann zeig her!“ Sorgfältig inspizierte sie Ewens Arbeit. „Naja, das ist ja ganz gut geworden.“
    „ Kann ich dann jetzt gehen?“
    „ Wo willst du denn hin?“
    „ Einfach nur ein bisschen raus. Wenn du willst, kann ich dir auch ein paar wilde Kräuter sammeln.“
    „ Dann geh, aber komm nicht zu spät. Und vergiss die Kräuter nicht.“
    Den letzten Satz hörte Ewen kaum noch, sie war schon fast zur Tür hinaus.
     

    Sie folgte nun seit zwei Monden dem vorgeschriebenen Pfad der Suche und hatte die großen Ebenen im Norden Martuls schon komplett durchquert. Als Bewahrerin war sie ein gern gesehener Gast in den Dörfer und viele Familien hätten es gern gesehen, wenn sie ihre Tochter mit sich genommen hätte, doch noch war das göttliche Zeichen ausgeblieben. Dabei hatte sie gehofft, in der dichter besiedelten Ebene fündig zu werden. Als Nächstes musste sie ihre Schritte nun in Richtung der Rogmündung im Westen wenden. Dort war das Gelände sumpfig, die Dörfer kleiner und weiter verstreut. Das Reisen würde daher beschwerlicher werden und sie würde die Nächte des Öfteren im Freien verbringen müssen.
     

    Sie hatte aufgehört, die Dörfer zu zählen. Die höflichen Floskeln der Dorfvorsteher konnte sie inzwischen auswendig. Langsam wurden ihr die Menschen lästig. All die herausgeputzten jungen Mädchen, die darum wetteiferten, von ihr wahrgenommen zu werden, die übereifrigen Mütter, die es anscheinend kaum erwarten konnten, ihre Kinder loszuwerden. Welche Wohltat wäre es, in ihr Haus in den Großen Bergen zurückzukehren. Doch noch war die Erwählte nicht gefunden. Auch der Besuch der Dörfer des südwestlichen Hügellandes hatte sich als Zeitverschwendung entpuppt. Doch was auch geschah, sie musste dem althergebrachten Weg folgen. Seit Jahrhunderten wurde er von den Bewahrerinnen auf der Suche nach ihren Nachfolgerinnen beschritten. Er war ein Zeugnis der Beständigkeit Martuls. Schon lange waren keine neuen Siedlungen hinzugekommen und die bestehenden wuchsen nur langsam. Stets lebten nur so viele Menschen in ihnen, wie das umliegende Land ernähren konnte. Ein jedes Dorf konnte sich unabhängig versorgen, jede Siedlung stellte die Güter her, die zum Leben gebraucht wurden. Nur selten kam es zum Austausch von Waren zwischen benachbarten Gemeinden. Die Einzigen, die regelmäßig reisten, waren die Erzähler und Sänger. Daher begegnete Wilka auf ihrem Weg auch selten Menschen. Wenn sie doch mal jemanden traf, so konnte sie sicher sein, dass es sich dabei um einen jungen Mann handelte, der auf der Suche nach einer Frau durch Martul zog.
    Als sie die großen Wälder des Südens erreichte, war der Sommer vorüber und der Herbst brach an, seit mehr als sechs Monden war sie unterwegs. Das Wandeln unter den großen alten Bäumen kam ihrem Bedürfnis nach Ruhe entgegen. In den großen Wäldern gab es nur einige kleine Dörfer auf den vereinzelten Lichtungen. In manchen würde es sicher kaum mehr als zwanzig Einwohner geben. Wenn sie auch hier keinen Erfolg hätte, so bliebe nur noch das Tausend-Bäche-Dorf am Fuß des Gebirges, dort, wo sich die Gebirgsbäche zum Fluss Rog vereinigten.
     

    Es war das Fest der Ernte, doch ihr war nicht nach Feiern zumute. Erst am Morgen hatte sie wieder einen Streit mit ihren Eltern gehabt. Obgleich sie bei der Ernte genauso tatkräftig geholfen hatte wie jeder Erwachsene, wollte ihr Vater sie nicht in der Kunst des Ackerbaus unterweisen, wie er es bei ihrem Bruder getan hatte. Dabei gab es viele Frauen, die die Felder ihrer Familie bestellten, während die Männer einem Handwerksberuf nachgingen. All dies hatte sie

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