WELTEN-NEBEL
Sie versuchte, die Mitte des Raumes zu bestimmen, doch auch von dort ging keine sinnvoller Satzanfang aus. Sie hatte die Wörter gezählt, es waren hundertvierundvierzig, zwölf Reihen mit jeweils zwölf Worten. Wie sollte sie da einen Anfang finden?
Der Wind trug neuen Sand herein, den sie sofort zum Portal hinauskehrte. Aber natürlich, der Eingang musste der Beginn sein. Erst jetzt fiel ihr auf, dass der Eingang nicht exakt mittig war, sondern leicht nach rechts versetzt. Wenn sie das Tor durchschritt, stand sie daher direkt auf dem siebten Wort der ersten Zeile und nicht etwa zwischen dem sechsten und dem siebten. Wenn der Text wirklich hier begann, so war dies das erste Wort.
Jahr 3620 Mond 5 Tag 18
Palast in Heet
Am Morgen hatte sein Vater seinen letzten Atemzug getan. Elec sorgte dafür, dass die Kunde im ganzen Land verbreitet wurde. Auch wenn die Mehrheit des Volkes dem König keine Träne nachweinen würde, ließ er dennoch eine dreitägige Trauer ausrufen. Sein Vater war zwar ein schlechter Mensch gewesen und ein grausamer König, doch dem Toten musste trotz allem Ehre erwiesen werden, so verlangte es der Anstand. Nach Sitte seines Volkes würde die Leiche schon am Abend verbrannt werden.
Jahr 3620 Mond 5 Tag 19
Aaran
Wieder mussten sie vor dem Regierungsrat erscheinen. Zu ihrem Erstaunen gab es kaum neue Fragen. Mawens Aufzeichnungen waren wohl ausführlich genug gewesen. Es war noch nicht Mittag, als der Sprecher des Rates verkündete, dass nun alle Fragen erörtert worden wären. Nun wollte man beraten, was nun weiter geschehen sollte. Darija hätte damit gerechnet, dass man sie nun entlassen würde, damit der Rat sich beratschlagen konnte, doch man bat ausdrücklich darum, dass sie blieben. Die folgenden Ausführungen des Rates ließen vermuten, dass in den vergangenen Tagen schon Unterredungen zum weiteren Vorgehen stattgefunden hatten. Es herrschte sogleich Einigkeit darüber, dass in den nächsten Jahren weitere Schiffe nach Helwa entsandt werden sollten, um den König doch noch vom Nutzen einer Beziehung zwischen den Ländern zu überzeugen. Allerdings wolle man sich gründlich vorbereiten: Schiffe mussten gebaut werden. Vertreter der Regierung mussten die helwarische Sprache sowie Sitten und Gebräuche studieren, bevor sie das Land besuchten.
Darija atmete auf, als sie erfuhr, dass man keineswegs vorhatte, sie erneut nach Helwa zu entsenden. Das wäre schon deshalb wenig sinnvoll, da der König sie für tot hielt. Sie richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Ausführungen des Sprechers. Er erläuterte Details möglicher weiterer Besuche. Dann wandte er sich an Darija und ihre Begleiter: „Es ist uns bewusst, dass ihr bereits viel geleistet habt, dennoch wäre es hilfreich, wenn ihr unsere Bemühungen unterstützen würdet. Schiffbauerin Darija, Ihr habt schon einmal ein Schiff für die Überfahrt gebaut, wer wäre also geeigneter, neue Schiffe dafür zu bauen. Euch, Felkan, würden wir bitten, unsere Abgesandten in der Sprache und Kultur Helwas zu unterrichten. Auch Ihr, Priesterin Zada, könntet Euch an dieser Aufgabe beteiligen, aber uns wurde zugetragen, dass Ihr Euren Dienst im Tempel wieder aufnehmen möchtet. Dennoch wollten wir Euch die Alternative dazu nicht vorenthalten. Was Eure Schwester Tira angeht, so halten wir es aufgrund ihres Alter für besser, wenn sie eine Lehre nach ihren Vorlieben wählt. Sollte sie später den Wunsch haben, uns zu unterstützen, ist sie willkommen. Selbstverständlich werden wir die notwendigen Mittel zu Verfügung stellen und für eine angemessene Entlohnung sorgen. Ihr braucht euch nicht gleich zu entscheiden und es steht euch natürlich frei, unser Ansinnen abzulehnen.“
Vielleicht war es keine schlechte Idee, das Angebot des Regierungsrates anzunehmen. Er könnte damit seiner neuen Heimat Cytria einen Dienst erweisen und gleichzeitig etwas für Helwa tun, denn Beziehungen zu Cytria würden die Lage dort sicher verbessern. Noch bevor die Zusammenkunft offiziell beendet war, hatte er eine Entscheidung getroffen. Dennoch wollte er sie erst verkünden, wenn er mit Darija darüber gesprochen hatte.
Sie hatten nicht lange gebraucht, um eine Entscheidung zu fällen. Zada hatte sich für ein Leben im Tempel entschieden, während sie und Felkan in den Dienst der Regierung treten wollten. Für Darija war es kein großer Schritt, alles, was sie wollte, war Schiffe zu bauen. Lediglich die Tatsache, dass sie dies in
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