Welten-Reise
Berges eingegraben hatte. Riesige Steinruinen standen dort, die Überbleibsel eines ungemein großen, alten Tempels. Runde Säulen ragten in den Himmel, das Dach, das sie einst getragen hatten, war verschwunden. Das Sonnenlicht brach sich in den Steinen und tauchte die steinerne Szenerie in grelles Licht.
»Was ist das?« fragte Electra und betrat eine Fläche, die einst ein wunderschöner Steinfußboden gewesen sein mußte.
Bevor Ivy antworten konnte, tauchte ein in einen Talar gekleid e ter, bärtiger alter Mann hinter einer eingefallenen Wand auf. »P y thia«, rief er. »Gerade rechtzeitig!«
»Wie bitte?«
»Ihr seid die neuen Priesterinnen. Euer Kommen wurde vorhe r gesagt, aber wir hatten Angst, daß es zu spät sein würde. Kommt hier entlang!«
»Aber wir sind keine Priesterinnen!« protestierte Ivy. »Wir sind bloß unschuldige Jungfern, die…«
»Natürlich. Wir werden euch säubern müssen und dann könnt ihr sofort dienen.«
»Wir sind müde und hungrig«, sagte Electra. »Wir haben nicht die Absicht…«
»Wir haben ein exzellentes Mahl für euch.«
Ivy wechselte einen kurzen Blick mit Electra. Sie waren beide hungrig. Also beschlossen sie, ihren Protest so lange zurückzuha l ten, bis sie gegessen hatten.
Ein Teil des alten Tempels war noch überdacht. Dort befanden sich einige Kammern, und es gab wirklich gutes Essen. Die Mä d chen fielen heißhungrig über die Strohbeerenkekse und die Ei s schokoladendrinks her. Eine ziemlich alte Frau brachte ein Bassin mit Wasser und Schwämmen. Sie wusch die Mädchen, noch wä h rend die aßen. Dann beschenkte sie sie mit hübschen, weißen R o ben, die sie statt ihrer verschmutzten und zerrissenen Kleidung anlegten.
Ohne darauf geachtet zu haben, fanden sie sich geschmückt wie, nun, wie Priesterinnen: prachtvolle Diademe auf ihren Häuptern zu sylphenartigen Talaren. Ivy war überrascht, wie schön Electra aussah. »Du wirst erwachsen, ’lectra!« bemerkte Ivy anerkennend.
Electra schnitt eine Grimasse. »Ich habe es nicht eilig, denn schon bald nach mir wird auch Dolph in das Alter kommen, und dann muß er wählen, und dann…«
Ivy wußte, warum sie den Satz nicht beendete. Sie wußten beide, daß Dolph für seine Hochzeit Nada auserwählen würde, und dann würde Electra sterben. Sie war nur so lange sicher, solange sie mit Prinz Dolph verlobt war. Sobald die Verlobung gelöst wurde, würden ihre ungefähr neunhundert Jahre sie einholen und sie zu einem Nichts zusammenschrumpfen lassen. Es sei denn, sie fä n den einen Ausweg aus dem Dilemma.
»Hark, der Klient ist angekommen«, verkündete der alte Mann. »Am besten sollten wir die ältere zuerst verwenden. Hat eine von euch eine Idee, wie das gemacht wird?«
»Nein!« sagten Ivy und Electra wie aus einem Munde, wobei die Nervosität hinsichtlich dessen, was auf sie zukommen würde, wi e der aufflackerte.
»Ausgezeichnet! Hatte eine von euch schon jemals eine Bezi e hung zu einem Mann?«
»Wir sind beide verlobt«, sagte Ivy etwas steif.
»Was…« Der Mann schreckte zurück. »Aber ihr seht so jung aus, und wir brauchen Jungfrauen. Warum habt ihr uns das nicht gleich gesagt?«
»Du hast nicht gefragt, Opa!« sagte Electra in ihrer burschikosen Art. »Wie auch immer, wer hat gesagt, daß wir keine…«
Ivy versuchte sie zu warnen. Aber es war bereits zu spät. So wie es die Regel war, wenn man es mit Electra zu tun hatte.
»Ah, also habt ihr noch nicht bei einem Mann gelegen!« rief er b e geistert.
»Was macht das für einen Unterschied«, wollte Ivy wissen. Sie hatte von Jungfrauen-Opferungen gehört und mochte all das G e rede darüber nicht.
»Nur wirklich unschuldige junge Mädchen können als Pythia dienen«, erklärte er. »Auf diese Weise können wir sichergehen, daß ihre Worte unverdorben sind.«
»Unverdorben?« Ivy gefiel das noch immer nicht. Jetzt hatte auch Electra begriffen und blieb still.
»Die Pythia muß auf dem Schemel sitzen und für den Kunden in Zungen reden. So verlangt es die Tradition unseres Orakels.«
Orakel! Jetzt erinnerte Ivy sich an etwas. »Sie machen Vorhers a gen!« sagte sie.
»Gewiß. Die allerbesten Voraussagen. Das ist der Grund, warum die Kunden hierherkommen.«
Also würden sie nicht geopfert oder vergewaltigt werden. De n noch gab es da zuviel Ungewißheit. »Was ist aus den Pythias g e worden, die ihr vorher hattet?«
»Nach so vielen Jahren werden sie erwachsen und heiraten«, sa g te der Mann. »Dann verlieren sie ihre Unschuld und
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