Welten - Roman
konzentrisch angeordneten Kragen hervorragte. »Mr. Oh?«, fragte er mit heliumhoher Stimme.
»Guten Abend.«
»Madame d’Ortolan wartet bereits, Sir.« Mit dem Kinn deutete er auf die Schuhe seines Gegenübers. »Das Boot ist ein bisschen empfindlich, mein Freund. Die müssen Sie ausziehen.« Oh schlüpfte aus den Schuhen. Er hatte sich für den konservativen Galaanzug seiner alten Fakultät entschieden, da er nicht die Absicht hatte, sich im Maskenkostüm ins Ballgeschehen zu stürzen. »Sie können sie beim Kaimeister abgeben«, fügte der Zwerg hinzu, als Oh die Schuhe mitnehmen wollte. »Auf dem Boot brauchen Sie sie nicht.«
Oh händigte sein Schuhwerk der kadaverartig aufgemachten Gestalt aus, die den kleinen Pier beaufsichtigte. Vorsichtig stieg er in das pelzgefütterte Innere des abenteuerlich fragilen Kahns. Der keramische Rumpf war so dünn, dass man an den pelzfreien Stellen von innen den Schatten der spielenden Wellen sah. Der Zwerg sog an einem anderen Rohr und sagte mit jetzt abgrundtiefer Stimme: »Los geht’s, Sir. Bitte halten Sie still und fassen Sie die Wände nicht an.«
Folgsam blieb Oh mit überkreuzten Armen und Beinen sitzen und ließ sich von dem Gnom gemächlich über das sanft schaukelnde Wasser zu dem extravagantesten Boot auf dem gesamten See rudern. Dieses bestand aus Eis und glitt in seinem eigenen Nebelschleier gemessen über die Wellen. Es war nach Art einer alten königlichen Barkasse geformt. Der kutschenartige Aufbau war mit Blattgold überzogen, und in der Mitte trug es ein großes, quadratisches Segel, auf das die gefilmte Darbietung eines berühmten erotischen Balletts projiziert wurde.
Als sie sich der Eisbarkasse näherten, wurde die Luft spürbar kälter. Mit einem ausgestreckten Ruder verhinderte der Zwerg, dass sein zerbrechlicher Nachen mit dem
Rumpf des größeren Gefährts zusammenstieß. Als Skelette verkleidete Diener halfen Oh an Deck, und der Gnom machte sich auf den Rückweg. Über das Deck war etwas gespannt, was nach einem dunklen Fell aussah und sich auch genauso warm anfühlte.
Umgeben von schrägen, vergoldeten Pfosten, an denen aufgerollte Vorhänge aus golddurchwirktem violetten Stoff hingen, lehnte Madame d’Ortolan mit einigen anderen Mitgliedern des Zentralrats in einem Nest aus blutroten Polstern in der Hauptkajüte des Boots. Die ätherisch wirkende Zeltdecke bestand aus Tausenden von kleinen, auf Silberdrähte gefädelten schwarzen und weißen Perlen.
Die erhöhte, geräumige Kajüte bot einen guten Blick über den See, die juwelenartigen Inseln und die Flotte langsam dahinziehender Kähne. Oh erkannte die anderen anwesenden Ratsmitglieder und begrüßte sie einzeln: Mr. Repton Bik, Madama Gambara-Cilleon, Lord Harmyle, Professor Prieska Dottlemien, Rechnungsprüfer Lapsaline-Hregge und Captain Yollyi Suyen. Schließlich wandte er sich Madame d’Ortolan zu, die nach den letzten Besetzungsänderungen die anerkannte, wenngleich nur inoffizielle Leiterin des Rats war.
Sie trug ein altes, furchtbar kompliziertes Kostüm aus Rüschen, Krausen und hauchzarten Lagen, deren äußere Schichten fast so leicht und durchscheinend waren wie Luft. An den Spitzenausläufern ihrer fließenden Röcke, aber auch an Fingern, Ohren, Hals, Stirn und Nase funkelte Geschmeide. Nachdem man ihr die Genehmigung erteilt hatte, ihren früheren, gealterten Körper aufzugeben - schon den zweiten seit ihrem Amtsantritt im Rat -, war sie jetzt eine kurvenreiche Schönheit mit weißer Haut, rabenschwarzem Haar, eisblauen Augen und fabelhaften,
nahezu kugelförmigen Brüsten, die sie an diesem Tag in all ihrer nicht geringen Pracht zur Schau stellte. Ihr auffallendes Kostüm endete nämlich an ihrer hinreißenden Wespentaille und begann erst wieder bei den Schultern mit einem feinen Spitzentuch, das ihre Arme bedeckte wie der Bettjäckchentraum eines Lüstlings.
In ihrem Nabel saß ein Rubin, und ihre Brüste waren mit aufgefädelten kleinen Diamanten geschmückt. Ihren langen, schlanken Hals umschloss ein enger Reif aus Diamanten.
»Ah, der junge Mr. Oh.« Sie klopfte auf ein pralles Polster neben sich. »Setzen Sie sich doch zu mir.«
Zwei der Ratsmitglieder - die alle fantastisch herausgeputzt waren, wenngleich nicht so opulent und freizügig wie Madame d’Ortolan - rückten ein wenig beiseite, um ihm Platz zu machen. Oh küsste die dargebotene Hand. »Madame, ich habe das Gefühl, unzureichend gekleidet zu sein«, bekannte er.
»Ganz im Gegenteil«,erwiderte
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