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Welten - Roman

Titel: Welten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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auch nicht. Zum Teil ist das auch Ansichtssache.« Sie schenkte mir ein herzliches Lächeln. Wahrscheinlich als Reaktion auf meine verständnislose Miene. »Das muss alles noch genauer erforscht werden. Jedenfalls, was die kaum bewussten Hüllen betrifft, die wir zurückgelassen haben.«
    »Was ist mit ihnen?«
    »Vielleicht haben sie gerade Sex miteinander, wenn wir ankommen.«
    Ich starrte sie an. »Ernsthaft?«
    »Wenn zwei physisch gesunde Erwachsene, die praktisch schwachsinnig sind und zwischen denen eine wechselseitige geschlechtliche Anziehung besteht, so nahe zusammen sind, dann kann das schon passieren.«
    »Wie romantisch.«
    »Ja. Aber es kommt darauf an. Haben Sie vor unserem Aufbruch daran gedacht?«
    »Woran, dass wir Sex miteinander haben?«
    »Ja.«
    »Es ist mir in den Sinn gekommen.«

    Sie legte den Kopf schräg. »Nun, eigentlich sind Sie nicht mein Typ, aber ich fand Sie auch nicht ganz unattraktiv, vielleicht wegen der enthemmenden Wirkung des Alkohols.«
    »Na, jetzt lassen Sie sich aber hinreißen.«
    Sie zuckte die Achseln. »Es gibt Kuriere, die eine andere Person nur mittels Penetration transportieren können. Ich muss meinen Mitreisenden lediglich umarmen. In ganz seltenen Fällen reicht es, die Hand des anderen zu fassen. Nun, wir werden ja sehen. Ich wollte bloß sagen, erschrecken Sie nicht, wenn wir zurückspringen und genau das gerade passiert.«
    »Okay«, antwortete ich. »Ich werde versuchen, nicht zu erschrecken.«
    Sie trat zu mir. »Können wir uns jetzt umarmen?«
    Wieder fühlte es sich an, als würde mein Gehirn von innen nach außen gestülpt. Oder diesmal von außen nach innen. Wie auch immer. Als wir in dem bernsteinfarben schummrigen Zimmer ankamen, lag ich jedenfalls zusammengekrümmt auf dem Boden. Mrs. M hockte im Schneidersitz neben mir, klopfte mir auf die Schulter und gab mitfühlende, tröstende Laute von sich. Ich spürte eine vertraute Übelkeit und hielt mit Tränen in den Augen die Hand an den Unterleib gepresst, als hätte mir kurz zuvor jemand das Knie in die Eier gerammt.
    »Ach«, sagte sie. »Tut mir leid. Das passiert leider auch manchmal.«

NEUN

PATIENT 8262
    Eine Unendlichkeit von Unendlichkeiten von Unendlichkeiten …
    Das menschliche Gehirn verzagt vor dieser wuchernden Unermesslichkeit. Wir glauben, sie im Griff zu haben und wedeln mit unseren Zahlen - natürlich, rational, komplex, reell, irreell -, wenn uns etwas Unüberschaubares begegnet, doch in Wahrheit sind diese Hilfsmittel nur Talismane und keine nützlichen Werkzeuge. Nicht mehr als ein Trost.
    Dennoch waren uns die Tore zu dieser unerschöpflichen Wildnis ständig sich vermehrender Welten geöffnet worden, und wir drangen darauf zu erforschen, von welchen verborgenen Mechanismen sie bewegt und wie diese erfasst und gesteuert werden konnten.
    Entsprechend vollzog sich das Lernen von den vielen Welten auf mehreren Ebenen. Eine davon war die Geschichte, und zwar in mindestens drei Kategorien.
    Von einer ersten Geschichte durften wir erfahren, von einer zweiten durften wir nichts wissen und von einer dritten, die es angeblich nicht gab, vermuteten wir - die Studenten dieses praktisch endlosen Fachs -, dass sie zwar existierte, aber auf unserer Wissensebene nicht besprochen wurde - und vielleicht nicht einmal auf der unserer Lehrer.
    Von Anfang an war uns bewusst, dass der Konzern viel mehr Ebenen aufwies, als von unserem bescheidenen Platz innerhalb seiner verschlungenen Hierarchie aus erkennbar war, und angesichts der unentwirrbaren Komplexität
der vielen Welten und der anscheinend wohlerwogenen Undurchschaubarkeit der Organisation war es schwer, auch nur zu erahnen, wie weit über uns hinaus sich diese wohl erstrecken mochte.
    Wir wussten, dass es in der Expédience verschiedene Schichten und Klassen von Beamten gab und dass an der Spitze dieser Struktur der Zentralrat stand, dessen Mitglieder alles wussten, was es zu wissen gab, über Herkunft, Zusammensetzung, Ausmaß, Arbeitsmethoden und Ziele des Konzerns. Einige von uns waren gar der Meinung - die mir immer schon absurd erschien -, dass am obersten Ende dieses Gebäudes aus Wissen und Macht eine zentrale Autoritätsfigur wirken müsste, eine autokratische Persönlichkeit, der sich alle anderen zu beugen hatten. Allerdings war nicht auszuschließen, dass dieser letzte, einzige, gottähnliche Kaiser der Realitäten - falls es ihn oder sie denn gab - kaum mehr war als ein Fußsoldat innerhalb eines noch größeren Verbunds anderer

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