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Welten - Roman

Titel: Welten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Piratenkapitänin oder zumindest sehr ähnlich. Wenn ich aus schierer Verzweiflung ohne Septus gesprungen bin, um der Folter zu entrinnen, liegt die Annahme nahe, dass ich mich automatisch für eine vertraute Welt entschieden habe, die ich schon besucht und in der ich mich wohlgefühlt habe. Trotzdem eine Welt, mit der sie nicht unbedingt rechnen würden.
    Calbefraques wäre schon eher in Frage gekommen. Warum bin ich nicht einfach in meinem eigenen Körper aufgewacht,
in meinem Haus zwischen den Bäumen hoch über der Stadt? Weil ich schon seit Jahren wusste, dass ich in Gedanken und Taten zum Verräter werden könnte, und mich geistig darauf vorbereitet habe. Mir war klar, dass ich bei einem Wechsel in Not oder in einem Zustand halber Bewusstlosigkeit keinesfalls auf den Ort Kurs nehmen durfte, den ich mein Zuhause nenne.
    Trotzdem hätte ich nie erwartet, hier zu landen.
    Erst jetzt fällt mir auf, worum es sich bei den Gewändern im Schrank handelt: alte Kostüme für Bälle und Maskeraden.
    Drei Zimmer weiter entdecke ich Männerkleidung der richtigen Ära, die mir obendrein passt. Schon das Anziehen reicht, damit ich mich besser fühle. Ich wasche mich in einem Bad aus einem kalten Hahn, weil es im Palazzo Chirezzia kein warmes Wasser gibt.
    Auch der Strom funktioniert nicht, doch als ich das Tuch vom Schreibtisch des Professore ziehe und den Telefonhörer abnehme, höre ich ein Freizeichen.
    Bloß was jetzt? Ich stehe da, bis sich das Telefon mit elektronischen Tönen beschwert. Ich lege wieder auf. Ich bin hier ohne Geld, Verbindungen und Septus-Vorrat gestrandet. Normalerweise müsste ich sofort den Kontakt zu einem Helfer oder einem anderen wachen , solidarischen Menschen suchen, um die Expédience zu verständigen und eine Septus-Quelle zu finden. Doch damit würde ich mich nur in Gefahr bringen und mich wieder der Gewalt meines Freundes mit der sanften Stimme und dem Klebeband ausliefern. Ich habe vor der Wahl gestanden, wie es mir Mrs. M schon immer prophezeit hat, und ich habe mich entschieden. Es ist ein großer Schritt, den ich gemacht habe, und ich bin immer noch nicht sicher, dass
es der richtige war, aber nun ist es geschehen, und ich muss mit den Folgen leben.
    Ab jetzt gilt, dass ich meinen Gegnern in die Hände spiele, wenn ich die naheliegende Route wähle und zu einem normal akkreditierten Agenten der Expédience in dieser Welt Verbindung aufnehme.
    Am wichtigsten ist im Moment, eine ausreichende Dosis Septus in die Finger zu bekommen. Andernfalls kann ich kaum etwas unternehmen. Sicher - es hat den Anschein, als wäre ich einmal ohne Hilfe der Droge gesprungen. Aber das war in höchster Not, unkontrolliert, unvorhergesehen (selbst für mich), mit halb zufälligem Ziel und um den Preis starken Unwohlseins und tiefer Verwirrung, die so lange andauerten, dass ich unmittelbar nach dem Wechsel extrem verletztlich war. Wäre zu diesem Zeitpunkt jemand bei mir gewesen, der mir übelgesinnt ist, wäre ich ihm hilflos ausgeliefert gewesen. Oder Schlimmeres.
    Möglicherweise war ich nur zu diesem einen spontanen Sprung in der Lage - vielleicht verdanke ich ihn einer Septus-Ablagerung in meinem Körper, die nun erschöpft ist -, und selbst wenn ich mich freiwillig wieder in die schreckliche und bedrohliche Situation begeben würde, in gefesseltem Zustand dem Erstickungstod nahe zu sein, kommt dabei wohl nichts anderes heraus, als dass ich mir in die Hose mache. Deshalb brauche ich unbedingt Septus. Und wie es heißt, sind die einzigen Vorräte in dieser und allen anderen Welten in den Händen des krankhaft misstrauischen und hoffnunglos paranoiden Konzerns.
    Doch vielleicht gibt es einen Ausweg.
    Mit der Hand streiche ich über das Tuch auf dem Stuhl beim Telefon. Kaum Staub.
    Ich nehme Platz und wähle zufällig irgendwelche kurzen
Nummern, bis ich eine menschliche Stimme höre. Seit dem letzten Mal habe ich mein Italienisch fast völlig vergessen, also muss ich jemanden finden, der eine meiner Sprachen beherrscht. Wir einigen uns auf Englisch. Der Unbekannte ist geduldig, und endlich klären wir gemeinsam, dass ich die Telefonauskunft anrufen muss, und zwar nicht hier, sondern in Großbritannien.
    Der Konzern verfügt in allen Welten, in denen er häufig operiert, über Schlupflöcher, sichere Verstecke, Agenten und Deckorganisationen. Offiziell sind mir alle Kontaktleute des Konzerns in dieser Realität bekannt, doch es wäre naiv anzunehmen, dass es nicht etliche gibt, die man mir verschwiegen

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