Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Welten - Roman

Titel: Welten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
Vom Netzwerk:
die Mühe, sich auf diese Weise selbst zu täuschen? Wie kam das solipsistische Bewusstsein darauf, dass es überhaupt eine und dann auch noch ausgerechnet diese äußere Realität gab? Weshalb war der Solipsist offensichtlich eingeschränkt in seiner Vorstellung einer Realität, die angeblich physisch nichtexistent und daher vollkommen formbar war?
    In der Praxis begegnete man Solipsisten meist in einer geschützten Klinik oder einer richtigen Nervenheilanstalt. Warum nahmen sie die Restriktionen in Kauf, die solche Einrichtungen mit sich brachten, statt ein Leben maximaler Hyperlust zu führen als Gott oder heldischer Übermensch, der durch bloßes Denken zu jeder Leistung fähig ist und jeden gewünschten Glückszustand erreichen kann?
    Wie dieses Argument auf einen bestimmten Solipsisten wirkte, hing natürlich vom Grad seiner Selbsttäuschung und der Geschichte und Entwicklung seines wahnhaften Zustands ab, so erklärte unser Lehrer, aber die deprimierende Wahrheit war, dass es praktisch nie zu einem Heureka-Moment kam und sich der nunmehr von der Existenz anderer Menschen überzeugte und geheilte Solipsist
als vernünftiger und nützlicher Bestandteil wieder in die Gesellschaft eingliedern ließ. Es gab unweigerlich eine zugrundeliegende psychologische Ursache, die den Betreffenden zum Rückzug in seine Bastion egozentrischer Unberührbarkeit bewegt hatte. Solange diese nicht erfolgreich therapiert war, durfte man auf keinen echten Fortschritt hoffen.
    Du wirst also allmählich begreifen, warum ich mir Sorgen mache. Hier liege ich in einem Klinikbett, vergleichsweise hilflos und sicherlich unbedeutend, nahezu unbeachtet und selbst für jene, die mich versorgen, nur von flüchtigem Interesse, und dennoch bin ich davon überzeugt, dass ich mich nur verstecke und den rechten Augenblick abwarte, um an den mir zustehenden Ort in der Welt, nein, in den vielen Welten zurückzukehren! Früher führte ich ein Leben voller Abenteuer und Aufregung, voller Gefahren und großer Leistungen, ein Leben von unbestreitbarer Bedeutung und Bekanntheit, doch jetzt bin ich hier, praktisch ans Bett gefesselt, ein Niemand, der die meiste Zeit schläft oder Tag für Tag mit geschlossenen Augen den Banalitäten des Klinikgeschehens lauscht und sich dabei Eleganz und Verwegenheit, Stil und Wagemut, Bedeutung und Macht seiner früheren Existenz ins Gedächtnis ruft - oder sich diese womöglich nur ausmalt.
    Wie wahrscheinlich ist es, dass diese Erinnerungen real sind? Je lebhafter und spektakulärer, desto näher liegt wohl die Annahme, dass es nur Träume und Einbildungen sind, nicht jedoch die Spuren tatsächlicher historischer Ereignisse. Was ist wahrscheinlicher? Dass diese Dinge geschehen sind und den tristen Stoff meiner Existenz durchziehen wie ein roter Faden? Oder dass ich - sicher unter dem Einfluss der von der Klinik wie selbstverständlich
verordneten Medikamente - einen fiebernden, unterforderten Verstand, der zu viel Zeit zum Nachdenken hat und dem in der normalen Wirklichkeit zu wenig los ist, dazu benutzt habe, um eine Szenerie farbenprächtiger Figuren und spannender Ereignisse heraufzubeschwören, die meinem Selbstwertgefühl schmeicheln?
    Wie leicht könnte ich zu der Auffassung gelangen, dass ich verrückt bin oder mich über meinen Zustand hinwegtäusche - beziehungsweise dies zumindest getan habe - und erst jetzt beginne, die Wahrheit meiner Situation und meines Elends zu erfassen! Vielleicht sind gerade diese Gedanken der Anfang eines Prozesses, der mich aus dem selbst gegrabenen Loch herausführen wird.
    Aber wo kommen dann all diese Spuren her? Wie sind sie entstanden? Ob es sich nun um Erinnerungen an Ereignisse handelt, die in der realen Welt oder sogar mehreren Welten stattgefunden haben, oder um Geschichten, mit denen ich mich unterhalten habe, irgendwoher müssen sie doch stammen. Kann ich das wirklich alles erfunden haben? Oder sind nicht ihre Vielfältigkeit und ihr Glanz ein Hinweis darauf, dass sie tatsächlich geschehen sind? Wenn ich ganz banal und durchschnittlich bin, wie bin ich dann auf diese absurden Fantasien verfallen? Ich muss doch vor der Zeit hier irgendeine Art von Leben geführt haben. Und warum sollte es dann nicht so sein, wie es meiner Erinnerung entspricht?
    Ich glaube mich einer ganz gewöhnlichen Jugend in einer Welt zu entsinnen, die für einen Außenstehenden gewiss nichts Ungewöhnliches hat. Eine Stadt, ein Zuhause, Eltern, Freunde, Schule, Arbeit, Lust und Liebe, Bestrebungen,

Weitere Kostenlose Bücher