Welten - Roman
hat.
Aber ich weiß auch von einer Kontaktperson, die nichts mit dem Konzern zu tun hat, einfach weil sie von jemandem vorbereitet wurde, der nicht zur Expédience gehört: der allgegenwärtigen und rührigen Mrs. M. Zumindest hat sie mir das versichert.
»Welche Stadt?«
»Krondien Ungalo Shupleselli.« Ich denke, dass ich den Namen richtig in Erinnerung habe. Bei der Ausbildung wird uns eingeschärft, dass uns solche Codes in Fleisch und Blut übergehen müssen. Selbst wenn wir durch Schock oder Trauma unseren eigenen Namen vergessen haben, müssen wir sie noch herunterspulen können. Diesen hier hat sich wohl Mrs. Mulverhill ausgedacht, und nicht irgendein Konzerntechniker in einem Ausschuss für Notfallmaßnahmen im Außendienst. Aber wie die offiziellen Codes sollte auch er in vielen Welten und Sprachen funktionieren. In den meisten klingt er wohl seltsam, ohne aber völlig unverständlich zu sein. Andererseits ist er weit genug von jedem möglichen Namen einer Person oder Organisation
entfernt, um Zufallskontakte und die daraus folgenden Missverständnisse und Sicherheitsrisiken zu vermeiden.
»Wie war der Name nochmal?«
»Es kann ein Unternehmen oder eine Person sein. Die Stadt weiß ich nicht.«
»Oh.«
Ich überlege. »Versuchen Sie es mal in London.«
Tatsächlich gibt es in der englischen Hauptstadt ein Unternehmen mit dieser Bezeichnung. »Ich verbinde.«
»Hallo?« Eine Männerstimme. Sie klingt ziemlich jung, doch schon in diesem einzigen, bedächtig ausgesprochenen Wort schwingt Vorsicht mit, sogar Nervosität.
»Ich suche nach Krondien Ungalo Shupleselli.«
»Was Sie nicht sagen. Den Namen habe ich ja schon lange nicht mehr gehört.«
»Ja.« Ich halte mich ans Drehbuch. »Vielleicht können Sie mir helfen.«
»Darum geht es ja schließlich, oder?«
»Darf ich fragen, mit wem ich spreche?«
Lachen. »Ich heiße Ade.«
»Aid?« Aid wie Hilfe? Das kommt mir etwas zu offenkundig vor.
»Kurz für Adrian. Und Sie?«
»Ich nehme an, Sie kennen die Vorgehensweise.«
»Was? Ach so. Ich muss Ihnen einen Namen geben, stimmt’s? Alles klar. Wie wär’s mit Fred?«
»Fred? Ist das gewöhnlich genug?«
»Wie Dreck, Kumpel. So gewöhnlich wie Dreck. Glauben Sie mir.«
»Selbstverständlich, Adrian.«
»Super. Das kriegen wir schon hin. Was kann ich für Sie tun?«
MADAME D’ORTOLAN
Madame d’Ortolan saß in der Dachvoliere ihres Hauses in Paris und lauschte dem Schlagen von tausend weichen Flügeln, während ihr Blick auf der dunkler werdenden Stadt ruhte, in der sich nach und nach die Straßenlaternen einschalteten. Die von den Gitterstäben der Voliere unterbrochene Aussicht zeigte dunkles Rot und Violett im Nordwesten, wo sich ein Gewitter in Richtung Sonnenuntergang zurückzog. Die Straßen rochen nach Spätsommerregen und erfrischtem Laub. Irgendwo in der Ferne schrillte eine Sirene. Sie überlegte, wie groß, gesetzlos und gefährlich eine Stadt in dieser Realität werden musste, damit immer irgendwo eine Sirene zu hören war. In dieser Welt war die Sirene wie eine akustische Signatur des Fragre.
Madame d’Ortolan holte Luft. »Nein, er muss noch eine andere Pille irgendwo versteckt haben.«
Mr. Kleist stand im Schatten, seitlich hinter ihrem Stuhl, einem extravaganten Gebilde aus Bambus mit breiter, fächerartiger Spitze. Nervös musterte er die umherfliegenden Vögel. Als ihm einer zu nahe kam, zuckte er unwillkürlich zurück. Er schüttelte den Kopf. »Das kann ich mir nicht vorstellen, Madame.«
»Trotzdem.«
»Er war festgebunden, Madame. Wenn überhaupt, dann hatte er sie im Mund, und den haben wir sehr gründlich untersucht, sowohl vor dem Verhör als auch danach. Im Anschluss an sein augenscheinliches Verschwinden sogar noch gründlicher.«
Madame d’Ortolan wirkte nicht überzeugt. »Gründlich?«
Mr. Kleist zog eine kleine Plastiktüte aus der Tasche und legte sie auf das Rattantischchen neben ihrem Stuhl. Sie
beugte sich über die rund dreißig blutbefleckten Zähne darin.
»Das sind alle«, bemerkte er. »Nichts als Zähne.«
Sie inspizierte sie. »Der falsche mit dem Hohlraum. War da Platz für zwei Pillen?«
»Nein. Außerdem wurde nicht nur die Septus-Tablette entfernt, als er noch ohnmächtig war, sondern der ganze Zahn.«
»Eine Ablagerung von Septus im Mund oder in der Kehle?«
»Diese Frage habe ich bereits unseren kompetentesten Experten vorgelegt. Etwas Derartiges ist nahezu ausgeschlossen.«
»Schicken Sie die Zähne trotzdem zur
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