Welten - Roman
Analyse.«
»Selbstverständlich.« Mr. Kleist schob die Plastiktüte wieder ein.
»Ein Osmosepflaster oder ein subkutanes Implantat?«
»Auch das haben wir vorher und nachher überprüft, Madame.«
»Vielleicht in der Nase«, sinnierte Madame d’Ortolan. »Das könnte möglich sein. Leute mit schlechten Manieren geben manchmal dieses hässliche Geräusch von sich, wenn sie die Nase hochziehen. Auf diese Weise könnte man eine Tablette zu sich nehmen.«
Mr. Kleist seufzte. »Eine theoretische Möglichkeit«, räumte er ein. »Aber nicht in diesem Fall.«
»Hat er so ein Geräusch gemacht?«
»Nein, Madame. Sehr wahrscheinlich war er gar nicht in der Lage zu einer Handlung, wie Sie sie beschrieben haben, weil sowohl seine Nase als auch sein Mund fest mit Klebeband versiegelt waren. Da war keine Luftbewegung möglich.«
»Haben Sie nach einem infusionsartigen Gerät gesucht? Vielleicht verborgen im Rektum und aktiviert durch …« Ihr fiel nicht ein, wie man etwas Derartiges aktivieren sollte.
»Wir haben die Kleider des Gefangenen überprüft und eine zweite innere Untersuchung durchgeführt. Ohne Ergebnis.«
»Ein Komplize. Das Septus wurde mit einem Pfeil oder etwas Ähnlichem verabreicht.«
»Unmöglich, Madame.«
»Waren Sie allein mit ihm?«
»Nein, mein Assistent war dabei.«
»Dieser Assistent …«
»Ist vollkommen vertrauenswürdig, Madame.«
Madame d’Ortolan wandte sich ihm zu. »Wenn Sie also nicht selbst beteiligt waren, Mr. Kleist, ist die einzige Möglichkeit, dass er irgendwann vorher eine Tablette mit verzögerter Wirkung geschluckt hat.«
Mr. Kleist blieb ohne äußere Reaktion. »Die Beamten, die ihn verhaftet haben, versichern uns, dass dies völlig ausgeschlossen ist. Zudem haben wir vorher und nachher Blutproben genommen, die nichts erbracht haben.«
»Trotzdem müssen sie sich irren. Die Ergebnisse müssen falsch sein. Lassen Sie alles nochmal analysieren.«
»Ja, Madame.«
Madame d’Ortolan schaute wieder hinaus auf die Stadt, die in der Dunkelheit versank. In geschwungenen Linien leuchteten die Straßenlaternen durch die regenfrische Luft. Nach einer Weile hob sie die Hand und kniff sich in die Unterlippe.
»Und wenn sie sich nicht irren, Madame?«, fragte Mr. Kleist schließlich in der Annahme, dass sie ihn bereits vergessen hatte.
»Dann«, antwortete sie, »haben wir ein äußerst schwerwiegendes Problem. Denn wir hätten es mit jemandem zu tun, der ohne Septus springen kann. Und wenn er dazu fähig ist - dann kann er zu fast allem fähig sein.« Madame d’Ortolan hielt inne. »Selbst bei einer vollkommen loyalen Person wäre dies eine erschreckende Aussicht.« Sie wandte sich zu Mr. Kleist um, den sie kaum mehr erkennen konnte. »Aber ich glaube nicht, dass das der Fall ist.«
»Vielleicht wären entsprechende Vorkehrungen dennoch vernünftig. Fürs Erste wenigstens.«
Sie schaltete die Lampe auf ihrem Tischchen an. Noch immer wirkte Mr. Kleist dunkel in seiner schwarzen oder annähernd schwarzen Kleidung. Nur das Gesicht trat jetzt bleich hervor. »Daran hatte ich auch schon gedacht. Lassen Sie die Hülle töten und eine umfassende - wirklich umfassende - Autopsie durchführen.«
»Die Person ist keine Hülle, Madame.«
»Das ist mir gleichgültig.«
»Ich verstehe, Madame.«
»Was ist mit den Spürern?«
»Zusätzlich zu der Einheit, die ihn nach dem Mord an Lord Harmyle aufgespürt hat, haben wir noch zwei weitere auf ihn angesetzt. Bisher gab es noch keine Rückmeldung.«
»Sind sie zuversichtlich?«
Mr. Kleist zögerte. »Falls ja, dann üben sie sich in ungewöhnlicher Zurückhaltung.«
»Klammern wir vorerst aus, wie er uns entronnen ist.Was ist, wenn er verschwunden bleibt? Was wird er als Nächstes tun?«
»Vielleicht hat er die Personen auf der Attentatsliste bereits gewarnt. Irgendwer hat es auf jeden Fall getan. Die Nachfasseinheiten konnten noch keinen Erfolg melden.«
»Nicht einmal bei Obliq?« Madame d’Ortolan sprach den Namen in jenem ätzenden Tonfall aus, den sie sich sonst für Mrs. Mulverhill aufhob. »Ich dachte, sie hätten sie bestimmt erwischt.«
»Ah«, machte Mr. Kleist. »Inzwischen geben die betreffenden Beamten an, dass sie vielleicht unmittelbar vor dem Anschlag abgesprungen ist.«
»Dann hat er sie also tatsächlich gewarnt.«
»Oder jemand anders.Wir bezweifeln, dass er persönlich Zeit dazu hatte.«
Sie runzelte die Stirn. »Ihr Assistent hat die Namen auf der Liste gehört, oder?«
»Wie gesagt, Madame, er
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