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Welten - Roman

Titel: Welten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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können auf die Idee verfallen, dass so etwas auch nur ansatzweise funktionieren könnte.«
    Er stützte den Oberarm auf die Brüstung und betrachtete sie. Selbst in dieser komisch ausgepolsterten, warmen Kleidung wirkte sie irgendwie schlank, zierlich und erfüllt von einer ausgesprochen sinnlichen Energie. Plötzlich erinnerte er sich, wie dieser Körper in den vielen schützenden Schichten aussah, wie er sich anfühlte und roch. Sie
waren schon fast einen Tag hier und hatten kaum etwas anderes getan, als miteinander zu schlafen. Seine Muskeln waren müde und schwer und seine Beine noch immer zittrig nach der letzten Runde vor einer halben Stunde, er stehend, sie um ihn geschlungen, in der Luftschleuse, als sie auf den Druckausgleich warteten.
    Halb rechnete er schon damit, dass sich sein Schwanz wieder regen würde, doch es passierte nichts. Die Kälte war es bestimmt nicht, also vermutete er, dass er diesmal wirklich erledigt war. Als sie vorgeschlagen hatte, auf den Balkon hinauszutreten, hatte er sich gefragt, ob das ein letzter spektakulärer Sexschauplatz sein sollte. Und ein riskanter noch dazu. Man konnte sich immerhin Erfrierungen holen. Aber stattdessen hatten sie in der Luftschleuse gefickt. Er hoffte, dass sie erst mal nichts mehr von ihm erwartete - er fühlte sich ein wenig wund und total erschöpft.
    »Du weißt so viel über diese Dinge«, bemerkte er.
    »Danke. Aber vor allem weiß ich, wer Madame d’Ortolan ist«, antwortete sie. »Ich glaube zu wissen, wie ihr Verstand arbeitet.«
    »Und ich hab zumindest eine Ahnung, wie einige ihrer anderen Körperteile funktionieren.«
    »Ihr Selbstbewusstsein grenzt schon fast an Solipsismus. Das ist ihre Schwäche. Und ein fanatischer Ordnungssinn.«
    »Ordnungssinn? Der Wunsch nach Ordnung wird sie zu Fall bringen?«
    »Er könnte dazu beitragen. Die De-facto-Kontrolle über den Zentralrat wird ihr wahrscheinlich nicht genügen. Auch wenn er insgesamt nach ihrer Pfeife tanzt, wird es sie prinzipiell stören, dass immer noch Leute dort sitzen, die nicht ihrer Meinung sind. Sie wird wollen, dass alle ihrer Meinung sind. Das ist einfach ordentlicher. Und ihr Selbstbewusstsein
verleitet sie zu dem Glauben, dass sie keine Fehler machen kann, weil sie die ist, die sie ist. Trotz ihrer scharfsinnigen Gerissenheit und ihrer absolut rücksichtslosen Berechnung ist auch ein Kern von Aberglauben in ihr, der ihr sagt, dass jedes noch so riskante Manöver letztlich klappen muss, weil es ihre Bestimmung ist zu triumphieren. So funktioniert für sie die Welt, so funktionieren alle Welten. Und damit können wir sie zu Fall bringen, Tem.«
    »Können wir das?«
    »Wir ärgern sie, wir bieten ihr die Stirn, wir drängen sie zu einer immer riskanteren Taktik, bis sie sich übernimmt und stürzt.«
    »Oder weiter gewinnt.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Je länger man alles aufs Spiel setzt, desto wahrscheinlicher ist es, dass man verliert.«
    »Dann setzt man eben nicht alles aufs Spiel.«
    »Klingt vernünftig. Aber wenn man absolut von der schicksalhaften Unausweichlichkeit des eigenen Sieges durchdrungen ist und ihn mit hohem Risiko schneller erreichen kann als mit kleinen Schritten, warum sollte man dann einem Triumph entgegenschlurfen, den man auch mit einigen wenigen kühnen Sätzen erzwingen kann?«
    »Und wenn du dich täuschst?«
    Ihre Lippen bebten. »Dann sitzen wir in der Scheiße.« Mit einem tiefen Atemzug blickte sie hinaus auf die kissenförmigen Wolkenformationen im Morgenlicht. »Aber ich täusche mich nicht.«
    »Das sagt dir etwas tief in deinem Inneren?«
    Sie schaute ihn scharf an und lachte auf. »Ja, natürlich. Du hast Recht. Aber wir müssen alle zu unseren Überzeugungen stehen, Tem, wenn wir mehr sein wollen als die klickenden Bälle, die von den Mächtigen nach Belieben in
einem großen Spiel hin und her gestoßen werden. Und du hast noch immer nicht erklärt, ob du mir helfen willst oder nicht. Du musst dich für eine Seite entscheiden.«
    »Ich bin mir nicht sicher, was eigentlich die verschiedenen Seiten sind.«
    Sie betrachtete die Wolkenschicht zwei Kilometer unter ihnen. »Weißt du, die Leiter einer Organisation denken gern, dass sie, metaphorisch gesprochen, auf dem von allen Seiten gut sichtbaren Gipfel eines Berges stehen. Aber das stimmt nicht - in Wirklichkeit herrscht bis nach unten hin Nebel. Man kann von Glück sagen, wenn man auch nur bis zur nächsten Ebene blicken kann. Danach kommt meistens nur noch ein trüber Brei.«
    Um ihre

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