Welten - Roman
eigentlich nur einen Film über die Suche nach Aliens machen, aber sie haben ihn jetzt schon mehrfach entführt. Das ist eines der Beispiele, von denen wir wissen. Ich wette, dass es noch Hunderte andere gibt.«
»Und das geht alles von Madame d’O aus?« Er hielt sich am Wannenrand fest und spannte die Schultern an, um die Hüften in ihre Richtung zu schieben, damit sich ihre Beine etwas mehr spreizten. Schimmernd durchbrachen ihre Knie auf beiden Seiten das sanft schäumende Wasser, während sich ihre Sohlen und Zehen noch immer an seinen Schwanz schmiegten.
»Madame d’Ortolan glaubt nach wir vor an ihre schwachsinnigen Theorien und betreibt weiter ihre sadistische Forschung«, bestätigte Mrs. Mulverhill huldvoll.
»Es wirkt einfach so persönlich, diese Sache zwischen ihr und dir.«
»Mir kommt es überhaupt nicht darauf an, etwas Persönliches daraus zu machen, Tem. Aber wenn man die
einschlägigen Spuren verfolgt, wartet am anderen Ende immer sie.«
»Kein Zweifel.« Er nahm ihre Knöchel in die Hände. »Aber ich finde, du solltest jetzt rüberkommen.«
Sie nickte. »Das finde ich auch.«
Über den Zacken der Berge im Osten breitete sich als gelbrosiger Fleck die Morgendämmerung aus. Eingehüllt in gepolsterte Schichten von Alpinkleidung standen sie auf einem runden Balkon an der Spitze der höchsten Kuppel des großen, leeren Palastes. Sie befanden sich im Freien, jenseits einer kleinen Luftschleuse und atmeten Sauerstoff aus durchsichtigen Masken über der Nase, die den Mund frei ließen.
Sauerstoffflaschen in ihren äußeren Jacken versorgten sie mit dem lebensspendenden Gas, und für den Fall, dass diese ausfielen, war in den Balkonrand ein Notfallsystem mit Ventilen eingebaut. Trotzdem konnte man nicht einfach aus dem duftend warmen Seeklima in neuneinhalb Kilometern über dem Meeresspiegel hinaus ins Freie treten. Der Druckunterschied war so groß, dass man sich eine Weile in der Luftschleuse aufhalten musste, um Beschwerden zu vermeiden. Vor der Morgendämmerung, wenn die Luft meistens am ruhigsten war, war der günstigste Zeitpunkt, hier zu sein. Dennoch blies ein starker Wind aus dem Norden. Ein Glasschirm, der wie ein riesiger Wetterhahn an einem schwenkbaren Arm saß, hatte sich so eingestellt, dass die größte Wucht des Sturms abgelenkt wurde. Leuchtende Zahlen auf einem kleinen Monitor in der Brüstung zeigten, dass die Temperatur vierzig Grad unter null betrug. Die Luft, die sie auf den Lippen und den wenigen Quadratzentimetern unbedeckter Haut um die
Augen spürten, war staubtrocken und schien nicht nur die Wärme aufzusaugen, sondern auch die Feuchtigkeit.
Sie sagte: »Im Allgemeinen gehen die Leute jeden Kompromiss mit der Welt ein, den sie für nötig halten, um sich den Glauben bewahren zu können, dass sie der Mittelpunkt von allem sind. Das Problem an den Möglichkeiten, die sich uns bieten, und vor allem am ungehinderten Zugang zu Septus und damit zu den vielen Welten ist, dass dieser Wahn dadurch bis zu nacktem Solipsismus gesteigert wird.« Ruhig und stark drang ihre Stimme durch das stetige Brausen des Winds.
»Trotzdem ist es eine Illusion«, erwiderte er. »Die Welt existiert auch ohne uns, ob es uns gefällt oder nicht.«
Sie lächelte. »Ein eingefleischter Solipsist würde deine Worte als belanglos abtun. Für ihn gibt es nämlich keinen Unterschied zwischen objektiver und subjektiver Wahrheit. Nur die Subjektivität zählt, weil sie in der Praxis das Einzige ist, was existiert. Und als Mitglied des Zentralrats des Transitionsamts lebt man in einer Blase, die einen derartigen Bewusstseinszustand entschieden fördert. Das Ganze ist nicht gesund, weder für das Amt noch für die Expédience noch für sonst jemanden.«
»Ich hätte gedacht, dass es gerade für die Ratsmitglieder besonders gesund ist.«
»Nur in dem trivialen Sinn, dass sie nicht mehr sterben müssen.«
»Ihnen selbst kommt das bestimmt nicht trivial vor.«
»Ja, klar.« Mrs. Mulverhill lehnte sich an die Balustrade, deren geschwungener Rand sich durch die bauschigen Kleidungsschichten an ihren Rücken drückte. Das langsam stärker werdende Licht tauchte ihren weißen Anzug in einen eisig rosigen Schein. »Aber man muss sich
doch fragen, wie sich dadurch ihre Einstellung verändert hat.«
»Du wirst es mir sicher gleich erklären.«
Um ihre Lippen zuckte es. »Wenn man uns nicht noch mehr belogen hat, als selbst ich es vermute, dann existiert der Konzern seit tausend Jahren. In dieser Zeit
Weitere Kostenlose Bücher