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Welten - Roman

Titel: Welten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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meines Gehrocks ragen.
    Als ich mich so zentral wie nur möglich in den Plüsch der Sitzbank zurücksinken lasse, gestatte ich mir ein tiefes Seufzen. Die Zwangsstörung ist mir offenbar treu geblieben.
     
    Der Perineum Club liegt an der Vermyn Street in der Nähe des Piccadilly Circus. Als ich dort eintreffe, ist es schon später Nachmittag, und Lord Harmyle nippt an seinem Tee.
    »Mr. Demesere.« Er hält meine Karte, als wäre sie ansteckend.
»Nun gut. Wie unerwartet. Es ist wohl das Beste, Sie setzen sich zu mir.«
    »Danke, sehr freundlich.«
    Lord Harmyle ist eine hagere Gestalt mit langem, weißem Haar und einem bleichen Gesicht, dessen Haut halb vom Schädel geätzt scheint. Seine dünnen Lippen sind blassviolett, die kleinen Augen wässrig. Er sieht aus wie neunzig, ist aber offenbar erst Anfang fünfzig. Die zwei geläufigen Theorien führen zur Erklärung dieser Anomalie eine genetische Veranlagung beziehungsweise eine besonders extravagante Sucht an.Von der anderen Seite des Tischs mustert er mich mit glänzenden Augen. Im Gegensatz zum lärmenden, hektischen Gewühl im Café Atlantique herrscht im Perineum reservierte Stille. Es riecht nach Pfeifenrauch und Leder.
    »Madame d’Ortolan?«, erkundigt sich der Lord. Ein Kellner schwebt heran und schenkt schwachen Tee in durchscheinende Porzellantassen. Ich widerstehe dem Impuls, die Tasse so zu drehen, dass der Henkel direkt auf mich zeigt.
    »Sie lässt Ihnen Grüße bestellen«, erwidere ich. Eine glatte Lüge.
    Lord Harmyle saugt seine ohnehin schon hohlen Wangen ein und zieht eine Miene, als hätte ihm jemand Arsen in den Tee gekippt. »Und wie geht es … der Dame?«
    »Gut.«
    »Hmm.« Lord Harmyles Finger verharren dünn wie die Klaue eines Raubtierskeletts über einem rindenlosen Gurkensandwich. »Und Sie, bringen Sie mir Nachrichten?« Die Klaue zieht sich zurück und wählt lieber einen kleinen Keks. Auf einem Teller liegen sieben dieser anämischen Sandwiches, auf dem anderen elf Kekse. Beides Primzahlen.
Zusammen achtzehn. Was natürlich keine Primzahl ist. Und in der Quersumme neun ergibt, die Wegwerfzahl. Mit der Zeit kann einem diese Sache wirklich zu schaffen machen.
    »Ja.« Ich nehme das Ormolu-Süßstoffdöschen zur Hand und schüttle eine winzige weiße Tablette heraus. Sie verschwindet im Tee, den ich umrühre. Dann führe ich die Tasse an die Lippen.
    Lord Harmyle bleibt äußerlich unbewegt. »Man hebt die Untertasse zusammen mit der Tasse an den Mund«, bemerkt er tadelnd.
    »Tut man das? Ich bitte vielmals um Verzeihung.« Ich setze die Tasse ab, um sie nun samt dem Tellerchen wieder aufzunehmen. Der Tee schmeckt scheu und behält die Aromen, die er vielleicht besitzt, für sich, als würde er sich schämen, sie offen zum Ausdruck zu bringen.
    »Also?« Harmyle legt die Stirn in Falten.
    »Also?« Ich gestatte mir eine Miene höflicher Verwirrung.
    »Welche Nachricht haben Sie für mich, Sir?«
    Hoffentlich verliere ich nie meine aufrichtige Bewunderung für Menschen, die in das schlichte Wort »Sir« - eigentlich eine Form der höflichen Anrede - ein Ausmaß an brüsker Verachtung legen können, wie es der gute Lord soeben getan hat.
    »Ah.« Ich senke Tasse und Untertasse. »Wie ich höre, haben Sie möglicherweise Zweifel an der künftigen Ausrichtung des Zentralrats geäußert.« Ich lächle. »Bedenken sogar.«
    Aus Harmyles ohnehin schon bleichem Gesicht weicht jeder Rest von Blut. Das ist wirklich sehr eindrucksvoll, da es sich hier im Grunde nur um eine Komödie handelt. Er lehnt sich zurück und späht argwöhnisch umher. Verunsichert
stellt er die Tasse ab. »Wovon reden Sie da überhaupt, um Himmels willen?«
    Freundlich hebe ich die Hand. »Sie müssen keine Angst haben, Sir. Ich bin nicht hier, um Sie zu bedrohen, sondern um Ihren Schutz zu gewährleisten.«
    »Tatsächlich?« Der Lord scheint diesbezüglich im Zweifel.
    »Absolut. Ich gehöre schon seit langem unter anderem auch der Sicherheitsabteilung an.« Dies entspricht der Wahrheit.
    »Nie davon gehört.«
    »Das soll auch so sein, außer man benötigt ihre Dienste.« Ich lächle. »Dennoch existiert sie. Möglicherweise fühlen Sie sich zu Recht bedroht. Deswegen bin ich hier.«
    Harmyle wirkt beunruhigt, vielleicht sogar verwirrt. »Meines Wissens steht die Dame in Paris in unverbrüchlicher Loyalität zur derzeitigen Führung.«
    Ich mache ein leicht erstauntes Gesicht.
    »Eigentlich hatte ich sogar den Eindruck«, fährt er fort, »dass sie selbst auf

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