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Welten - Roman

Titel: Welten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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signalisieren, dass ich mich irgendwie komisch oder untypisch benahm. Anscheinend weiß ich genau, wie ich mich verhalten muss, wenn ich ein anderer bin, und schlüpfe so natürlich in die jeweilige Rolle wie der begabteste Schauspieler. Und wenn ich mein/sein Gedächtnis durchforsche, finde ich keine Spuren einer früheren Begegnung mit dem Konzern - gleich, wie er in der betreffenden Welt genannt wird - oder gar einer Vorbereitung auf die Inbesitznahme.
    Ich ziehe das Ormolu-Döschen aus meiner Jacke und betrachte es.Wahrscheinlich schlucke ich die nächste Tablette, wenn ich mich zehn Kilometer über dem Atlantik oder den Alpen befinde oder wenn ich hinab auf die Sahara blicke. Andererseits könnte ich auch warten, bis ich an einen anderen Ort weitergereist bin, für den ich mich erst noch entscheiden muss. Wie auch immer: Wie funktionieren diese weißen Pillen eigentlich, die so winzig sind, dass man drei oder vier davon auf den Nagel des kleinen Fingers legen kann? Wer stellt sie her und wo? Wer hat sie erfunden und getestet? Ich benutze den normalen Mechanismus des Döschens, um ein vollkommen normales Süßstoffdragee zu erhalten, wie sie jeder ernährungsbewusste Mensch in seinen Tee oder Kaffee geben würde (während er häufig gleichzeitig herzhaft in ein saftiges Stück Sahnegebäck beißt). Es ist fast identisch mit den Spezialtabletten, nur ein winziger, für das bloße Auge kaum erkennbarer blauer Punkt, der in der Mitte einer Seite fehlt. Ich öffne das Ormolu-Döschen, um das Dragee wieder hineinzuwerfen.
    Das Döschen ist exquisit gearbeitet. Bei regelgerechtem Gebrauch wird es klaglos Süßstoff und nichts als Süßstoff ausgeben, bis er zur Neige geht; nur wenn man es auf eine
bestimmte Weise hält und drückt, erreicht man das darin verborgene Geheimfach mit dem eigentlichen Schatz und bekommt eine der Pillen, die einen in eine andere Seele und eine andere Welt schleudert.
    Fragen über Fragen. Ich weiß, was man von mir erwartet. Ich soll denken, dass ich vielleicht eines Tages zur Ebene einer Madame d’Ortolan und ihresgleichen aufsteigen und dadurch auf einige Antworten stoßen werde. Die Eliminierung aller Personen auf meiner Auftragsliste könnte allein schon für einen derartigen Aufstieg reichen, und auch diese Hoffnung erwartet man von mir. Diese dichte Abfolge von Eliminierungen verlangt, dass ich mein Bestes gebe, und selbst dann ist der Erfolg keineswegs garantiert.
    Doch leider - wenn man von Madame d’Ortolans Absichten ausgeht - habe ich nicht die Absicht, die Menschen auf der Liste zu töten. Im Gegenteil: Wenn ich kann, werde ich sie retten (und habe sie mit ein wenig Glück bereits gerettet). Nein, in dieser Angelegenheit werde ich entschieden gegen meinen Auftrag handeln.
    Und natürlich habe ich dies schon getan; Lord Harmyle stand gar nicht auf der Liste.

FÜNF

PATIENT 8262
    Ach ja, unser Beruf. Meiner und der derjenigen, die auf der Suche nach mir sind. Meinesgleichen also wohl. Obwohl ich unvergleichlich war, wenn ich das so sagen darf.Vor allem am farbenprächtigeren Ende des Realitätsspektrums besaßen meine Eliminierungen eine bizarre Anmut, eine kalkulierte und geradezu skandalöse Eleganz. Als Beispiel sei nur das Brandopfer eines gewissen Yerge Aushauser genannt, seines Zeichens Arbitrageur. Oder vielleicht besser der Abgang mit Backhirn von Max Fitching, dem Leadsänger von Gun Puppy, der ersten wirklich weltumspannenden Band in mehr Realitäten, als man zählen kann. Oder aber das schmerzhafte und bedauerlicherweise auch langwierige Ende des Stuntfahrers, Unternehmers und Politikers Marit Shauoon.
    Für Yerge arrangierte ich ein besonderes Schaumbad in seiner Ranch in Nevada, bei dem ich die Luftzufuhr für die Düsen seines Whirlpools mit Wasserstoff ersetzte. Die unter dem Bodenbelag um die Wanne verborgenen Zylinder wurden mit einem funkgesteuerten Ventil aktiviert. Von der anderen Seite der Welt aus beobachtete ich alles durch eine Digitalkamera, die an ein Spektiv, einen mit Solarenergie betriebenen Computer sowie - dank einer Geheimverbindung - an einen Satelliten angeschlossen und gut versteckt hinter Salbeisträuchern auf einem eineinhalb Kilometer entfernten Hügel aufgebaut war. Während ich in meinem Hotel in Sierra Leone schlief, zeigte ein Bewegungsmelder an, dass der Whirlpool benutzt wurde.
Als ich mit müden Augen in mein Telefon starrte, erkannte ich Yerge Aushauser, der ausnahmsweise allein zur Wanne schritt. Ich schwang mich aus dem Bett und

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