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Welten - Roman

Titel: Welten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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zu verpassen, aber das Geschöpf wich seinem Fuß mühelos aus und stieß ein selbstgefällig klingendes Maunzen aus.

DER WELTENWECHSLER
    Schniefend schnäuze ich mich und blicke mich um. Ich bin in einer anderen Version des Gebäudes, in dem der Perineum Club untergebracht war, dort wo Lord Harmyle - in diesem Augenblick, wie ich meinen will - auf dem Boden liegt und mit strampelnden Beinen einem ziemlich blutigen Tod entgegenzuckt.
    In dieser Realität hier beherbergt das Haus an der Vermyn
Street eine Parfümerie. Die dunkle Wandtäfelung ist zum großen Teil verborgen hinter exquisiten Wandteppichen und hellen, sanft schimmernden Lichtpaneelen, die tropfenförmige Parfümfläschchen in den Glasregalen beleuchten. Durch die Luft schweben bezaubernd weibliche Düfte, und niemand ist auch nur im Geringsten überrascht, dass ich gerade geniest habe. Die betuchte Kundschaft setzt sich überwiegend aus Damen zusammen. Die eine oder andere hat einen Herrn dabei, und außer mir sind noch zwei andere Männer ohne Begleitung in dem Geschäft. Es sind die Männer, die ich fixiere. Auch die Verkäufer sind fast ausschließlich gut aussehende junge Männer. Ein besonders wohlgeformtes Exemplar, groß und dunkelhaarig, lächelt mir zu. Als ich das Lächeln erwidere, durchläuft mich ein leichter Schauer.
    Ja, ja. Ich finde es nie besonders aufregend, schwul zu sein, aber wenigstens bin ich nicht auf dem Boden aufgeschlagen, um die Ritzen im Parkett zu zählen. Auch die Zwangsstörung habe ich anscheinend hinter mir gelassen, fürs Erste zumindest. Meine Sprachen sind Englisch, Spanisch, Portugiesisch, Französisch, Deutsch und Kantonesisch, dazu irgendwelche Bruchstücke.
    Schnell inspiziere ich in einem hohen Spiegel mein Erscheinungsbild. Ich bin ähnlich gekleidet wie bei der Begegnung mit Lord Harmyle (von dem ich mich frage, ob er wohl schon der verstorbene Lord Harmyle ist). Mein Haar ist lang, dunkel und gelockt, wie es hier wohl Mode ist. Allerdings muss ich zugeben, dass mir das außerordentlich gut steht. Kein Wunder, dass mich der junge Verkäufer mit einem Lächeln bedacht hat. Ich prüfe, ob an meinen Händen Blutspuren sind. Es wäre ungewöhnlich und beunruhigend, wenn es so wäre, aber man sieht immer
nach. Makellos. Ich habe sehr bleiche, elegant manikürte Hände, die jeweils mit zwei Silber- oder Weißgoldringen geschmückt sind.
    Keine Zeit zum Trödeln. Nach einem letzten bedauernden Blick auf den attraktiven jungen Verkäufer strebe ich zur Tür, während ich mich vergewissere, dass Brieftasche, Papiere und Ormolu-Döschen an Ort und Stelle sind. Laut meinem britischen Pass bin ich Mr. Marquand Ys. Alles ist in Ordnung. Die Brieftasche quillt über von großen, weißen Banknoten und mehreren wichtig aussehenden Plastikkarten mit Silbereinsätzen.
    Hinaus auf die Straße. Immer noch keine Luftschiffe. Dommage!
    Allerdings: Über den relativ niedrigen Gebäuden zieht ein riesiges Flugzeug gelassen seine Bahn gen Westen. Mit meinem Stock winke ich ein Taxi heran - ein surrendes, buckliges Gefährt, das vermutlich mit Elektrizität betrieben wird - und weise die Fahrerin an, mich zum Flughafen zu chauffieren.
    Im Spiegel legt sich die Stirn der Frau in Falten. »Zu welchem?«
    Ah, ein großes London also; Londres grande! Herrlich. »Wo landet dieses Flugzeug?« Ich deute mit dem Stock.
    Blinzelnd streckt sie den Kopf aus dem Fenster. »Eafrow, schätz ich.«
    »Dann dorthin.«
    »Das kost’ aber.«
    »Gewiss. Fahren Sie bitte.« Wir setzen uns in Bewegung. »Plyte, Jésusdottir, Krijk, Hertzloft-Beiderkern, Obliq, Mulverhill«, leiere ich herunter. Ein angenehmes Gefühl, diese Namen auszusprechen. Wie ein Mantra. Aus dem Spiegel schaut mich die Taxifahrerin schief an. »Plyte, Jésusdottir,
Krijk, Hertzloft-Beiderkern, Obliq, Mulverhill.« Ich lächle still.
    »Wiese mein’, Chef.«
    Zurückgelehnt lasse ich den relativ ruhigen Verkehr und die ziemlich laute Architektur an mir vorübergleiten. Seit dem Wechsel hat mein Herz sehr heftig geschlagen - nun, wohl eher seit dem Mord an Lord Harmyle. Jetzt wird es allmählich langsamer, und ich komme wieder etwas zur Besinnung.
    Natürlich denke ich an jeden armen Kerl, der die Folgen meiner Handlungen ausbaden muss, nachdem ich ihn zurückgelassen habe, vor allem wenn es sich um etwas so Dramatisches und Unerfreuliches handelt wie einen Mord. Wie es wohl für die Betreffenden sein wird? Angeblich erfahren sie von den Ereignissen erst, wenn ich längst

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