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Welten - Roman

Titel: Welten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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zubereitet werden, ziehe mich kaum richtig an und lege keinerlei Interesse für Musik oder Gespräche an den Tag. Manchmal nehme ich ein Buch zur Hand, starre aber stundenlang auf eine Seite, die ich entweder gar nicht oder immer wieder lese. Kunstbücher, Gemälde und Illustrationen scheinen mich ebenso sehr zu beschäftigen wie alles andere, also nicht nennenswert, und Gleiches gilt fürs Fernsehprogramm, aber auch
nur dann, wenn es mit fesselnden Bildern aufwartet. Zu Gesprächen steuere ich nur vereinzelte Silben bei. Am glücklichsten scheine ich, wenn ich einfach auf der Terrasse sitze oder durch ein Fenster starre.
    Wie ich höre, wirke ich wie unter Drogen oder Beruhigungsmitteln. Vielleicht sogar wie nach einem Schlaganfall oder einer Lobotomie. Wenn ich behaupte, dass ich schon einigen angeblich normalen Personen und nicht wenigen Studenten begegnet bin, die im Alltag eine geringere Lebhaftigkeit zeigen, stellt dies nur eine leichte Übertreibung dar. Wie auch immer - ich habe keinen Grund, mich zu beklagen. Fern von mir gerate ich nicht in Schwierigkeiten (hier zumindest), und mein Appetit ist nicht so stark, dass ich zunehme. Es könnte schlimmer sein: Zum Beispiel könnte ich in meiner Abwesenheit beim Bergwandern abstürzen, bei einem Besuch im Kasino immense Schulden anhäufen oder mich in ein missliches Liebesabenteuer stürzen.
    Den Rest der Zeit verbringe ich jedenfalls vollständig hier und lebe mit ungeteilter Aufmerksamkeit in dieser Welt, auf dieser anscheinend einzigartigen Version der Erde, die sich Calbefraques nennt. Mein Name in dieser zumindest für mich grundlegenden Realität hat keinerlei Ähnlichkeit mit denen, die mir bei meinen Übergängen üblicherweise zufallen. Hier heiße ich Temudschin Oh, ein Name ostasiatischen Ursprungs. Die Erde, von der ich stamme, gehört zu den vielen, auf denen das mongolische Reich einen sehr viel größeren Einfluss vor allem auf Europa ausübte, als dort, wo du diese Worte liest.
    Ich führe ein geordnetes, sogar ruhiges Leben, was auch nur angemessen ist für jemanden, der viel Zeit mit potenziell desorientierenden Ausflügen in andere Welten verbringt,
und häufig noch mit dem unseligen Zweck, Menschen zu töten. Natürlich bin ich keinesfalls nur als Mörder unterwegs. Manchmal wirke ich als gute Fee, als rettender Engel, als huldvoller Held, der einen vom Glück Verlassenen mit Geld überschüttet, ihm einen Auftrag erteilt oder ihn mit jemandem zusammenführt, der ihm weiterhelfen kann. Bisweilen tue ich etwas unsäglich Banales, wie jemandem auf der Straße ein Bein zu stellen, ihn in einer Bar zu einem Drink einzuladen oder - einmal - vor ihm zusammenzubrechen und einen Anfall zu simulieren.
    Dies war einer der seltenen Fälle, in dem ich die Tragweite meines Handelns erahnen konnte. Der junge Arzt - der gerade zu einem Termin hastete, aber stehen blieb, um mich zu versorgen - wurde durch meine Intervention vom Betreten eines Gebäudes abgehalten, das prompt zu einer Wolke aus Staub, Schutt und zerborstenen Holzbalken zerfiel. Als ich dies nur wenige Dutzend Schritte entfernt auf der Straße liegend beobachtete, täuschte ich eine teilweise Genesung vor, bedankte mich und forderte ihn auf, den vielen wimmernden Opfern zu Hilfe zu eilen, die beim Einsturz des Wohngebäudes Verletzungen erlitten hatten. »Ich danke Ihnen , Sir.« Sein Gesicht war nicht nur vom Staub grau. »Ich glaube, Ihr Anfall hat mir das Leben gerettet.« Damit verschwand er in der Menge, während ich dasaß und Mühe hatte, nicht niedergetrampelt zu werden von jenen, die hilfsbereit oder gaffend heranstürmten.
    Ich habe keine Ahnung, was der junge Mann später tat oder leistete. Hoffentlich etwas Gutes.
    Manchmal mache ich auch nur jemanden mit einer Person bekannt oder hinterlasse ein Buch oder eine Schrift, damit er sie entdeckt. Oder ich rede einfach mit dem Betreffenden, um ihn zu ermutigen oder ihn auf eine bestimmte
Idee zu bringen. Solche Aufgaben bereiten mir Freude, aber es sind nicht die, an die ich mich erinnere. Und sicherlich nicht die, die mir nachts den Schlaf rauben. Menschenfreundlichkeit hat eben immer irgendwie etwas Fades an sich. Nur mit Katastrophen kann man es so richtig krachen lassen.
    Die meisten meiner Kollegen und Vorgesetzten leben in großen Städten. Dort sind wir am meisten zu Hause und können am leichtesten den Wechsel von einer Realität in die nächste bewerkstelligen. Ich will mich hier nicht als Experte für die Theorie und die

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