Welten - Roman
mehr sagen. Dann klickte und zischte es, und eine Sekunde später hing sie völlig reglos in meinen Armen.
»Scheiße!« Der Arbeiter kickte ihr das kleine Gerät aus der Hand.
Ich schnappte nach dem Absatz seines Stiefels und schleuderte ihn so heftig herum, dass er noch schwerer als sein Kamerad vorhin auf den Boden klatschte. Schnell wälzte ich den leblosen Körper der Piratenkapitänin auf ihn und zerrte ihren Degen aus der Scheide. Mit einem Fuß stand ich auf ihrem blutdurchtränkten Rücken, so dass er unter ihr niedergehalten wurde, und mit der Degenspitze ritzte ich seine Hand, die noch die Pistole umklammert hielt, bereit, ihn sofort an die Bodenbretter zu spießen, falls er sich wehrte.
»Cavan!«, ächzte er. »Sie heißen Mark Cavan. Wir sind auf Ihrer Seite. Wir gehören zum Konzern!« Die Bardame gab einen unbestimmten Laut von sich, den man als Zustimmung deuten konnte. Der andere Mann, der schmerzverkrümmt auf dem Boden lag, stöhnte nur. »Wir gehören zum Konzern!«, wiederholte der Mann mit der Waffe. »Expédience! Wir wurden ausgesandt!«
Meine kleine Piratenkapitänin - oder die Person, deren Körper sie für diesen Abend übernommen hatte - verblutete auf ihm, während ich mir seine Worte durch den Kopf gehen ließ.
Vielleicht inspiriert von solchen Erinnerungen, drücke ich in dieser speziellen Weise auf das Ormolu-Döschen, um eine kleine weiße Tablette herausgleiten zu lassen. Mit dem letzten Tropfen Gin Tonic spüle ich sie hinunter und bestelle sogleich einen nach, einfach um herauszufinden, ob er rechtzeitig eintrifft, damit ich noch einen Schluck nehmen kann.
Forschend betrachte ich die Wolkendecke, die allmählich dunkel wird, während sich die Rot- und Orangetöne der sinkenden Sonne über den Horizont stehlen, aber ich kann keine Lücken mehr entdecken. Schon gleite ich hinüber in die Wechseltrance und bin nur noch halb verbunden mit dieser Welt. Gerade als sich der Steward mit meinem Gin Tonic nähert, spüre ich, dass ich niesen muss. Hat-schi!
Beim Öffnen der Augen ist mein erster Gedanke, dass ich auf A4 sitze. Das könnte Verschiedenes heißen: eine europäische Papiergröße, eine britische Dampflokomotive aus der Mitte des 20. Jahrhunderts oder das Feld, das der Bauer vor dem weißen Damenturm mit dem ersten Zug erreichen kann, wenngleich er damit wichtige Diagonalen blockiert, mit denen die Dame oder der Damenläufer Druck auf das Zentrum ausüben kann …
Druck. Ja, genau. Ich spüre Druck. Druck gegen meine Knie und Schultern.
Im Inneren des Flugzeugs ist es dunkel, die Nacht ist hereingebrochen; alle Fenster sind entweder schwarz oder mit Plastikjalousien verschlossen.Verschwunden die großzügige Raumaufteilung der ersten Klasse. In engen Reihen bin ich zusammengepfercht mit Leuten, die fast alle in ihren leicht zurückgeneigten Sitzen schlafen. Ein Baby weint. Die Motoren klingen etwas lauter. Ich habe
viel weniger Bewegungsfreiheit für die Beine als zuletzt, meine Knie stoßen an die geneigte Rückenlehne vor mir. Ich spähe nach beiden Seiten und weiß sofort, dass etwas nicht stimmt. Der Druck gegen meine Schultern kommt von zwei hellhäutigen, gebräunten Männern, die beide einen halben Kopf größer und viel kräftiger sind als ich. Sie haben einen Bürstenhaarschnitt und tragen dunkle Anzüge über weißen Hemden. Der Rechte fixiert meine Handgelenke mit seiner Riesenpranke. Unter seinem Griff bin ich mit Handschellen gefesselt.
»Gesundheit, Mr. Diese«, lässt sich der Linke vernehmen. »Willkommen in unserer Mitte.« Er fasst in meine Jackentasche und nimmt das Ormolu-Döschen heraus, ohne dass ich etwas dagegen tun kann.
»Was soll …«, stottere ich.
»Das brauchen Sie im Augenblick nicht.« Er steckt das Döschen ein.
Noch immer liegen meine Handgelenke zusammengequetscht in der geschlossenen Pranke des anderen. Trotz der Fesseln versuche ich, meine Arme zu heben - vergeblich. Ich bin zwar stark, aber jetzt fühle ich mich wie ein kleines Kind im Griff eines Erwachsenen.
»Verdammt, was wollen Sie …« Mehr bringe ich nicht mehr heraus, bevor mir der Kerl, der mir meine Tabletten abgenommen hat, seine geradezu lächerlich wuchtige Faust ins Gesicht rammt.
SECHS
PATIENT 8262
Vor dem Anfang nichts. Am Anfang eine Flut von Universen in einem einzigen zeitlosen Moment, der die Mutter und der Vater aller Explosionen und das Gegenteil einer Explosion ist, weil er nichts zerstört - weil er nichts als das Nichts zerstört -, sondern nur
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