Welten - Roman
Muskeln in ihrem Leib schlagartig in eine völlig neue Konstellation gesprungen und hätten Skelett und Organe mitgerissen.
Ich hatte das Geschehen immer noch nicht ganz verarbeitet, da machte meine Piratenkapitänin einen Schritt nach hinten, weg von mir und dem Arbeiter, während die Bardame etwas unter dem Tresen packte und der Arbeiter plötzlich wild auskeilte. Geschickt wich meine Begleiterin dem Tritt aus, der sie verfehlte und mich am Schenkel getroffen hätte, wenn ich nicht ebenfalls zur Seite geschnellt wäre.
Mit einem Zischen wie von Wind zwischen Zaunpfosten glitt der Degen in ihre Hand und blitzte im Licht, als
sie nach vorn stürzte. Der Arbeiter drehte sich noch vom Schwung seines Angriffs; wie von selbst schien die Klinge in seinen Hals zu schlüpfen, und seine eigene Bewegung zog ihm eine rosig sprühende Linie über die Kehle, als sein Stiefel schließlich gegen die Bar knallte. Schützend hob er den Arm, als die Maskierte mit dem Bein ausholte und ihn mit einem gezielten Tritt zu Fall brachte. Die Hand an die Kehle gepresst, brach er zusammen.
Nur wenig zu spät riss die Barfrau den Knüppel hoch. Ein mähender Hieb des dünnen Degens zuckte von der Seite über ihre Brust und einen Arm, und der ausgebeulte Pullover schlenkerte wie ein nasser Lumpen, als sie mit schmerzverzerrtem Gesicht nach hinten gegen die Galerie prallte und Flaschen und Gläser auf sie niederprasselten. Inzwischen hatte meine Piratenkapitänin dem Arbeiter, der gerade mit der Schulter auf den Boden krachte, den schweren Absatz in den Unterleib gerammt. Sie würdigte ihn kaum eines Blickes, als er sich zu einem Ball krümmte. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass der andere Arbeiter noch immer fassungslos an seinem Platz saß, spähte sie kurz über den Tresen. Dort lag zwischen den knirschenden Scherben ebenfalls zusammengerollt die Bardame, der das Blut aus dem bis zum Knochen aufgeschlitzten Arm sprudelte.
Um nichts abzubekommen, hatte ich mich inzwischen zur Tür zurückgezogen. Meine Piratenkapitänin wandte sich wieder dem verbliebenen Arbeiter zu, der zu überlegen schien, ob er aufstehen sollte oder nicht. Ich vermutete, dass er sich fürs Sitzenbleiben entscheiden würde. Schließlich steckte sie den Degen in die Scheide und fasste mich am Arm. »Zeit zum Aufbruch, Sir.«
Ich setzte mich in Bewegung, um sie zur Tür zu ziehen.
Plötzlich traf mich ein Gefühl wie eine Art seitlicher Schwindel, eine Empfindung, die jeder Weltenwechsler sofort als Drall erkennt und die eintritt, wenn das eigene Bewusstsein in eine minimal andere Welt verschoben wird. Alles an der Örtlichkeit schien gleich geblieben, auch sein Fragre, und trotzdem hatte sich etwas um uns verändert, etwas Kleines, aber Konzentriertes, Hartes und Wesentliches. Während meiner Ausbildung hatte ich noch große Mühe, Drall zu identifizieren, doch es war eine Fähigkeit, die sich mit zunehmender Erfahrung verbesserte, und inzwischen war ich sogar recht geübt darin. Irgendwie wusste ich, dass sich der Wandel hinter uns vollzogen hatte. Ich spürte, wie sich meine Nackenhaare aufstellten. Meine kleine Piratenkapitänin zuckte zusammen, als hätte sie das Gleiche wahrgenommen. Die Hand am Degen fuhr sie herum.
Unmittelbar darauf peitschte ein Schuss durchs Zimmer, und das Klingeln in den Ohren übertönte jedes andere Geräusch. Der Blitz von dem Tisch, an dem der zweite Arbeiter saß, schien fast nach dem Knall zu kommen. Die Piratenkapitänin wurde herumgeschleudert und prallte gegen meine Brust. Als ich sie auffing, erschlaffte sie bereits. Den Blick auf den Schützen gerichtet, versuchte ich, nach dem Degenknauf zu greifen. Der Arbeiter, der die ganze Zeit dort hinten gesessen hatte, benahm sich auf einmal ganz anders. Er hielt eine kleine, flache Pistole und stand auf, während er mir kopfschüttelnd die freie Hand entgegenstreckte.
»Jetzt jagen sie schon in Rudeln«, ächzte die Sterbende. »Scheißkerle.« Ich blickte ihr in die Augen. Sie lag als totes Gewicht in meinen Armen, und ihr Degen war unerreichbar für mich, als sich der Arbeiter näherte. Schwach hob sie eine Hand, und ich dachte schon, dass sie die Maske
abnehmen wollte. Es schien, als hätte sie mit dieser Bewegung ihre letzten Kraftreserven aufgebraucht. Dann bemerkte ich, dass eine winzige Waffe in ihrer Hand lag. Sie führte sie unters Kinn nahe dem Halsansatz. »Ein andermal, Tem«, flüsterte sie. Der Arbeiter hatte uns fast erreicht.
»Nein …« Mehr konnte ich nicht
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