Welten - Roman
oder vier Dimensionen abspielt, sondern in viel mehr.«
»Wie viel mehr, Madame?«, wollte ein Junge wissen.
»Eine Menge.«
»Nur eine Menge, Madame?«
»Ja, fürs Erste nur eine Menge.« Sie hielt inne. Es wirkte fast wie ein Zögern. »Das ist ein Grund, warum äußerst kluge, intelligente und gelehrte Leute wie ich sich damit abgeben, unsäglich ungebildete und unreife junge Menschen wie euch zu unterrichten, wo wir gemütlich mit hochgelegten Beinen und einem aufgeschlagenen Buch am Kaminfeuer sitzen oder mit unseresgleichen kultivierte Unterhaltungen über die neuesten aufregenden Ideen und Fakultätsklatsch führen könnten. Obwohl wirklich viele, viele Anzeichen dagegensprechen, besteht die hauchdünne Chance, dass einer der helleren Köpfe aus dieser Klasse eine Lösung für eine der Fragen entdeckt, auf die niemand aus meiner Generation - trotz besagter Intelligenz und Gelehrtheit - oder aus früheren Generationen eine endgültige Antwort gefunden hat, wie zum Beispiel: Warum ist Calbefraques einzigartig, warum ist eine Seele nach dem Weltenwechsel einmalig, wo sind wir, woher kommt Septus ursprünglich und wie funktioniert es genau? Diese Art von Fragen.«
Einige im Hörsaal machten leise: »Uuh!«
»Ja, nehmt es euch zu Herzen«, bemerkte sie trocken. »Ihr seid nicht zum Auswendiglernen da, ihr sollt lernen, wie man selbstständig …«
»… denkt!«, schallte es ihr entgegen.
Nun lag ein Lächeln in ihrer Stimme. »Gut auswendig gelernt.« Sie wurde wieder ernst. »Natürlich, wenn ihr wirklich schlau seid, stellt ihr euch diese ganze unglaubliche Komplexität nicht nur so vor, dass ihr an sie heranzoomt, sondern auch als eine, die mit einer unaufhörlich explosiv
und exponentiell wachsenden Oberfläche auf euch zurast.«
»Entschuldigen Sie, Madame, aber das stelle ich mir sowieso schon vor.«
»Und ich stelle mir vor, dass dein handschriftlicher Aufsatz über, ach, die Geschichte der Fraktaltheorie, einige Orthografiefehler enthalten wird, Meric. Je genauer ich hinsehe, desto mehr werde ich wahrscheinlich finden.«
»Aber, Madame …«
»Nichts, Madame. Fünfzehnhundert Worte. Morgen früh auf meinem Schreibtisch. Wie sagt man, Meric?«
»Man sagt danke, Mrs. Mulverhill.«
»Richtig.«
ADRIAN
Schottland ist feucht und öde. Lass dir von niemand was anderes weismachen. Sogar die Erhebungen sind meistens nur große Hügel, keine richtigen Berge wie die Alpen oder die Rockies. Die Leute erzählen einem immer, wie romantisch und zerklüftet alles ist, aber mir ist davon bisher nichts aufgefallen. Und wenn es mal irgendwo nett ist, schwirren überall diese fiesen kleinen Mücken rum, und man muss sowieso im Haus bleiben. Außerdem ist alles voller Schotten. Beweisführung abgeschlossen.
Ich überstand die Woche in Glen Furquart, oder wie es hieß. Aber nur mit knapper Not. Unter Spaß verstehe ich was anderes. Sogar das Jagen war ein Reinfall. Ich weiß nicht warum, aber ich dachte, wir würden mit echten Gewehren auf so was wie Hirsche, Elche oder Highland-Rinder
schießen, aber nein, wir schossen mit Schrotflinten auf Vögel. Schrotflinten. Wie in so einem bescheuerten Guy-Ritchie-Film. Es waren nette Schrotflinten mit Gravuren und so, echte Erbstücke blablabla, aber trotzdem nur Schrotflinten. Knarren für Leute, die nicht zielen können. Und wir schossen auf Vögel. Ganze Haufen davon. Fasane. Wenn es noch einen blöderen Vogel auf dem Planeten gibt, dann möchte ich ihn lieber nicht kennenlernen. Da hat ja Schweinescheiße noch einen höheren IQ.
Auf der Hinfahrt stand auf unserer Seite der Straße ein Fasan im Gras, ungefähr auf halber Strecke eines längeren geraden Abschnitts der A9. Ein paar hundert Meter vor uns. Auf der Gegenfahrbahn näherte sich ein Strom von Autos dem Vogel. Plötzlich rannte der Fasan über die Straße, fast als hätte er es auf den vordersten Wagen abgesehen. Wir rechneten alle fest damit, dass das schwachsinnige Vieh das nicht überleben würde.Wie durch ein Wunder passierte nichts. Vielleicht bremste der Fahrer - aber wenn, dann bestimmt nicht stark mit dieser Riesenschlange im Nacken. Jedenfalls rutschte der Vogel ungefähr um einen Millimeter an der Stoßstange vorbei und kam auf der anderen Seite an. Als er schlitternd auf dem Grasstreifen stoppte, konnte man richtig erkennen, wie er vom Fahrtwind des Autos geschüttelt wurde. Und was macht dieser Trottel von einem Vogel, nachdem der erste Wagen vorbeigebraust ist? Er überlegt es sich auf einmal
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