Welten - Roman
Aktionäre und Vorstand. Das ist eben
die Sache mit der eingeschränkten Haftung. Nicht wie eine Personengesellschaft oder eine Versicherung.« Er machte eine Geste in Richtung der Wellen und verschüttete dabei ein wenig von seinem Whisky. Davor hatte es schon einige Gin Tonic und Flaschen Wein gegeben.
»Wirklich?« Irgendwie klang das komisch für mich, und anscheinend machte ich auch ein zweifelndes Gesicht.
»Genau das meine ich«, fuhr Edward fort. »Ein normaler Mensch würde in seiner Naivität vielleicht annehmen, dass eine Gruppe von Leuten, die sich Kapital für eine Unternehmensgründung ausleiht, die haufenweise Ausrüstung und Rohstoffe bestellt, ohne sie zu bezahlen und das alles in den Sand setzt, für das verbratene Geld haftet. Aber so ist es nicht. Wenn sie eine Aktiengesellschaft gegründet haben, dann wird diese zu einer Art fiktiver Person, verstehst du? Und nicht die Gründer haben Schulden, sondern die Gesellschaft. Wenn sie zusammenbricht, wird sie abgewickelt, ihre Anlagen werden verkauft, und wenn das die Schulden nicht abdeckt, dann ist es eben Pech. Falls sie sich immer an die Gesetze gehalten haben, sind Vorstand und Aktionäre nicht haftbar. Das Geld ist einfach weg. Umgekehrt natürlich, wenn das Ganze zu einem Riesenerfolg wird, dann hurra! Dann sahnen sie ordentlich ab. Weißt du jetzt, was ich meine? Eine Wette ohne Risiko.«
»Meine Güte, Edward, du klingst schon fast wie ein Linker.«
»Marxist vom rechten Flügel, Adrian.« Mr. N nickte knapp und bewunderte immer noch die Aussicht. »Ehrlich gesagt habe ich in meiner Jugend sogar mit dem Sozialismus geliebäugelt.«
»Während des Studiums?«
Er lächelte. »Ja, an der Universität.Aber dann habe ich kapiert,
um wie viel komfortabler das Leben sein kann, wenn man nicht zu den Ausgebeuteten gehört, sondern zu den Ausbeutern. Außerdem, wenn die Proleten so dumm sind, sich ausbeuten zu lassen, warum sollte ich mich ihnen da in den Weg stellen?« Der Wind zerzauste sein schütteres, strohblondes Haar, als er das Glas hob. »Deshalb bin ich zur dunklen Seite übergelaufen. Cheers.« Er trank.
Ich lachte. »Dann ist Barney so was wie Luke Skywalker.«
Er schüttelte den Kopf. »Um das beurteilen zu können, kenne ich Star Trek nicht gut genug. Spock ist er jedenfalls nicht.«
Fast hätte ich ihn nicht korrigiert. Aber die Verwechslung war so krass, und es konnte jederzeit sein, dass er seinen Fehler wiederholte und von jemand anderem darauf aufmerksam gemacht wurde. Und wie hätte ich dann dagestanden? Wie ein Arschkriecher oder so. Also sagte ich: »Du bringst da ein paar Sterne durcheinander« und erklärte es ihm.
»Na schön.« Wieder schwenkte er lässig das Glas. »Und auf welcher Seite stehst du, Adrian?«
»Auf meiner eigenen, Edward. Das war schon immer so und wird auch so bleiben.«
Er musterte mich eindringlich. »Die beste Seite, auf der man stehen kann.« Dann nickte er und leerte sein Glas.
(ENSEMBLE)
Es begann mit Dr. Seolas Plyte. Der gute Doktor schlief in der an sein Arbeitszimmer grenzenden Stube in der Fakultät für Transitionswissenschaften an der Universität für
Praktische Talente in Aspherje, als es geschah. Seine Lieblingskonkubine, die noch in postkoitaler Benommenheit auf der Chaiselongue über ihm lag, zuckte einmal, wie sie es vielleicht getan hätte, wenn auch sie dabei gewesen wäre einzuschlafen. Stattdessen nahm sie ihn fest in die Arme, und ehe er zu sich kommen konnte, waren sie verschwunden.
Ms. Pum Jésusdottir wanderte gerade in den Himalajahügeln, als sie kamen. Eine rückständige Welt, auf der der langsame Zusammenprall des indischen Subkontinents mit Asien noch kaum eingesetzt hatte. Hier lag der höchste Punkt im Himalaja lediglich dreizehnhundert Meter über dem Meeresspiegel und war mit Bäumen bedeckt. Unter hohen, von einem Regenguss tropfenden Platanen zog sie allein dahin und trat von einer Seite zur anderen, um dem Wasserstrom auszuweichen, der sich auf dem erst kürzlich markierten Weg gesammelt hatte. Sie sann gerade darüber nach, dass man in einer niederschlagsreichen Gegend keinen Weg ohne Gräben anlegen durfte, weil man sonst einfach ein Bachbett baute, als sie ein Mädchen sah, das ein kurzes Stück weiter vorn mit leerem Blick auf dem Pfad kauerte.
Sie war bestimmt nicht älter als dreizehn oder vierzehn, Angehörige eines der hiesigen Stämme, gekleidet in einen konservativen schwarzen Kaftan, der vom Hals bis zu den Knöcheln reichte, das Haar zu
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