Weltenende (German Edition)
Schweiß ausbrach und er hielt dem Blick nicht stand. Er senkte den Kopf und es war eine Geste der Schwäche, das war Jonas klar. Der Mann hatte bemerkt, dass er gelogen hatte. Doch der Blick hatte auch sein Gutes, denn Jonas sah an der Hand des Mannes einen breiten schwarzen Siegelring mit einem eingravierten Wappen, das zwei Vögeln und eine Kornähre zeigte. Jonas war sicher, dass er das Zeichen früher schon gesehen hatte. Er versuchte sich zu erinnern, aber seine Erinnerungen waren getrübt wie das letzte Mal schon, als er hier gewesen war. Als der Mann seinen Blick sah, steckte er die Hand rasch in die Manteltasche.
„Ich möchte Pferde“, forderte Jonas lauter.
Der Kleinere nickte zögerlich. „Ich werde sie euch holen. Wartet hier, Herr!“
Der andere trat einen Schritt zurück.
„Nun wir werden uns vielleicht wiedersehen. Ich hoffe für euch, dass euer Unterfangen gut ausgehen möge. Auf dann, junger Herr!“ Der Hüne verschwand in dieselbe Richtung wie der kleinere Mann. Sie hörten, wie Tore geöffnet wurden, wie Pferde wieherten und als der Mann zurückkam, brachte er keine stolzen Tiere, sondern schon auf den ersten Blick nicht mehr als Ackergäule. Das Fell war schuppig und ungepflegt. Es waren alte Tiere.
Doch Jonas war es egal. Er spürte deutlich, dass er einen Fehler gemacht hatte, einen wirklich großen Fehler. Er hatte sich zu erkennen gegeben und das keine Stunde, nachdem er in der Anderswelt angekommen war.
Sie schwangen sich in die Sättel und beeilten sich die störrischen Tiere in Richtung Straße zu lenken. Der Hof lag nicht direkt an der Straße und als Jonas sich umschaute, sah er aber niemanden mehr und sie bogen nach Süden. Es wäre sicherer gewesen einen kleinen Umweg zu reiten, erst ein Stück nach Norden, dann wieder in einem Bogen zurück, denn so ganz unbeobachtet fühlte er sich nicht, aber dazu fehlte ihm die Zeit, das spürte er. Allein der Vorsprung war seine Chance, seine Chance nicht in die Hölle gezogen zu werden bevor die Ombrage ihn erledigte.
Der Turm befand sich am Meer, so viel wusste Jonas noch, und er erinnerte sich an eine Stadt ganz in der Nähe. Sie war auf Ludwigs Plan nicht verzeichnet, aber er war damals mit ihm hindurchgekommen. Vielleicht war es das Beste, wenn sie sich am Ufer hielten.
„ Das waren ja zwei Gestalten.“ Carls Worte klangen ungewöhnlich laut und hart in Jonas Ohren.
„Diese ganze Welt ist seltsam und bei aller Ähnlichkeit, die du jetzt vielleicht siehst, sie ist anders, glaub mir.“
Ein en Beweis dafür bekam Carl eine halbe Stunde später. Nach einer langgestreckten Kurve saß ein kleines zweiköpfiges Wesen am Straßenrand. Es tat sich gütlich am Kadaver eines schwarzen Vogels - keine Krähe oder Rabe, sondern ein erheblich größeres Tier.
„ Das sieht aus wie ein …“
„ Es ist ein Gargoyle“, sagte Jonas. „Komm weiter, ich glaube nicht, das der ausgewachsen ist. Da gibt es bestimmt noch Mama und Papa dazu.“
„ Mein Gott, was gibt es hier denn noch?“
„ So einiges“, entgegnete Jonas. Im Grunde wusste er es selbst nicht so genau.
Bald ri tten sie über eine Anhöhe. Zur Linken erstreckte sich das Meer und darüber ein Himmel mit hohen, grauen Wolken. Carl prophezeite Regen und Jonas fürchtete insgeheim noch etwas weit Schlimmeres als Regen. Ihm ging das Wappen auf dem Ring des Mannes nicht aus dem Kopf. Er war so sicher, wie man nur sein konnte, dass er es schon gesehen hatte, nur wo ... er konnte sich nicht erinnern. Zu allem Ärger waren sie mit den Pferden auch nicht viel schneller, als wenn sie zu Fuß unterwegs gewesen wären.
„Wir müssen schneller reiten“, sagte Jonas und trieb sein Pferd energischer an.
Auf Ludwigs Plan waren zwei Seelenfeuer zwischen dem Turm und der Insel verzeichnet. Sie brauchten mehr als drei Stunden, bis sie das erste erreichten, und bis dahin begegneten sie keiner Menschenseele, auch keiner Siedlung, nicht einmal einem einzelnen Gutshof. Die Straße mäanderte wie ein Fluss durch einen schier endlosen Kiefernwald. Auf den vereinzelten, kleinen Lichtungen, grasten meist Rehe und Elche, aber auch andere Kreaturen, die Carl nur zu deutlich machten, dass er sich an einem Ort befand, der nichts mehr mit seiner vertrauten Welt zu tun hatte.
Beim S eelenfeuer verlief die Straße dicht am Ufer und das Feuer brannte nicht in einem Haus, sondern nur in einem metallenen Verschlag am Strand. So dicht davor schien es kaum mehr als eine sich leerende Öllampe zu
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