Weltenfresser - Die Tränen der Medusa (German Edition)
und er sah, wie der kleine Mann seine dürren Finger in Richtung des Horizontes streckte. Dort erhob sich majestätisch ein Berg, dessen gewaltige Größte selbst die Grate in den Schatten zu stellen schien. Es war nur eine einzelne, gewaltige Erhöhung, die sich jäh aus der Landschaft erhob. Wolken brachen sich an ihr, der Gipfel schimmerte weiß.
Tyark ahnte, dass sie noch mindestens einen Tag brauchen würden, bis sie den Fuß des Berges erreicht haben würden. Er wusste, dass die Stadt San Lorieth war in die Flanken der unteren Hänge des Lor gebaut, wie der titanische Berg genannt wurde. Er erfuhr von Abo, dass Lor in seiner Sprache so viel wie Weisheit hieß und dass er noch viel mehr als einfach nur ein Berg war. Er war der Sage nach auch der Sitz der Götter seines Volkes und jeder Benjitin hatte die Pflicht, wenigstens einmal in seinem Leben nach San Lorieth zu pilgern und den Göttern so seine Ehrerbietung zu erweisen. Der Glaube an die Großen Alten verbreitete sich zwar auch hier, aber gerade unter den Nomaden hielten sich die Alten Götter offensichtlich hartnäckig.
Tyark erfuhr weiter, dass noch nie eines Menschen Fuß den Gipfel selbst betreten hatte. Die Luft dort oben war schon bald so dünn, dass niemand auch nur die Hälfte des Lor ersteigen konnte, ohne das Bewusstsein zu verlieren und unweigerlich zu ersticken. Beeindruckt blieb er immer wieder stehen und ließ seinen Blick die felsigen Hänge hinaufwandern.
Am dritten Tag war der Lor endlich in ganzer Größe zu sehen. Wie ein wahrhaftiger Gott füllte er fast das gesamte Blickfeld aus und das vollkommene Fehlen anderer Berge unterstrich diesen Eindruck noch. Tyark musste seinen Kopf weit in den Nacken legen, um überhaupt noch den schneeverhangene Gipfel sehen zu können, der heute in Dunst verborgen war. An seinen Hängen sah er bereits die verwinkelten Befestigungsanlagen San Lorieths und in ihrer Mitte die alles überragende Festung des Sultans.
ENTSCHEIDUNGEN
W ie ihnen Abo lächelnd erzählt, wurde San Lorieth auch die Perle des Nordens genannt. Als die Stadt schließlich am Horizont auftauchte, verstand Tyark auch, warum. Majestätisch türmte sie sich an den steilen südlichen Felswänden des mächtigen Lor in die Höhe. Obwohl San Lorieth eine der größten Städte in Teannas war, wirkte sie im Vergleich zu den mächtigen Flanken des Berges wie Kinderspielzeug.
Fast alle Häuser und Befestigungsanlagen waren aus den hellen Steinen des Berges gebaut. Sie waren auf natürlichen Felsvorsprüngen errichtet worden oder auf in den Fels geschlagene Terrassen. Manchmal war ein Gebäude auch Teil einer Felswand und sah so aus, als ob ein Teil im Lor selbst lag. Zahllose Treppen und Brücken verbanden die einzelnen Terrassen labyrinthartig miteinander. Über der Stadt sah Tyark gewaltige Kanäle, die wie ein Gerippe die Berghänge über der Stadt überragten. Abo erklärte ihm, dass diese Kanäle dazu dienten, Gesteinslawinen um die Stadt herum abzuleiten – und manchmal freilich auch sturzbachartige Wassermassen, die alle paar Jahre zu erwarten waren. Welch erstaunliche Baukunst hier bewiesen worden war!
Tyark konnte insgesamt drei Befestigungsringe erkennen, einen kleineren, inneren, der von einem etwas größerem umschlossen wurde. Der dritte Befestigungskreis war gewaltig und umschloss nicht nur die gesamte Stadt, sondern auch einen großen Teil vor den Hängen des Berges. In regelmäßigen Abständen waren große Wehrtürme in die Mauern, auf denen große Katapulte und andere schwere Kriegsmaschinen standen, die Tyark so noch nie gesehen hatte. Die Stadt schien äußerst wehrhaft zu sein, sicher einer der Gründe, weshalb die Horde bislang hierher nicht vorgedrungen war.
Qualm von Hunderten Feuerstellen schwebte in der Luft, bunte Wimpel, Flaggen und Tücher wehten an den zahlreichen Türmen und Bauten. Ganz oben waren die reich verzierten Zinnen und Türme des Festungspalastes des Sultans Al Pentheon zu sehen, wie Abo ihnen mit gewisser Ehrfurcht erklärte. Weit über dem Palast sah Tyark noch ein winziges, dunkleres Gebäude mit einem eigentümlichen, pyramidenförmigen Dach, welches sich in eine Felskluft duckte. Norin erklärte, dass dies das Große Heiligtum der Benjitin sei. Es sei noch vor der eigentlichen Stadt erbaut worden - angeblich von den Göttern selbst.
Interessiert beobachtete Tyark, wie alle Türme und größeren Gebäude Spitzdächer hatten, die sich in Form einer Spirale in den Himmel wanden und ihn daher an
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