WELTENTOR 2013 - Fantasy (German Edition)
überwucherte mein vorsichtig gefasstes Vertrauen und erstickte die anerzogene Höflichkeit. Mein angeborenes Gespür für Unheil trieb mich davon, fort, nur weiter, instinktiv wollte ich Distanz zwischen ihm und mir bringen.
Sogleich aber folgte er mir, sehr leise und sich mühend, nahezu un -sichtbar zu bleiben, doch fühlte ich seine Anwesenheit beängstigend nahe hinter mir.
Eine unkontrollierte, spontane, von irrsinniger Panik getriebene Flucht durch die Dunkelheit nahm ihren Anfang. Zuerst kopflos nur einfach geradeaus, mitten rein in die Finsternis, dabei meine reaktionsschnelle weibliche Wendigkeit nutzend, dann im Zickzack über Stock und Stein, schließlich außer Atem in Höchstgeschwindigkeit querfeldein. Längst hatte ich die Orientierung verloren, versuchte nur noch offenes, flaches Gelände zu erreichen, um meine vermeintlich überlegene Schnelligkeit auszuspielen. Unsinnige Täuschungsmanöver führten nur dazu, dass ich längere Strecken zurücklegte, während er abkürzte.
Mit meinem Schatten, der sich nicht abschütteln ließ, jagte ich gerade -wegs meinem Verderben entgegen, so dachte ich für mich, wo sollte das enden? Die Nacht zog schnell dahin und je rapider meine Kräfte schwanden, umso mehr wuchs meine Bereitschaft, mich in mein Schicksal zu ergeben. Gegen Morgen, es graute zaghaft und ein in Böen heftiger Wind kam auf, da leuchtete mir unerbittlich ein, dass meine Flucht sinnlos war. In der zunehmenden Helligkeit sah ich am Hori-zont ein Unwetter schnell heraufziehen und gewahrte mich in einem unwegsamen Gelände, dem ich mich nicht mehr gewachsen fühlte. Vollkommen erschöpft streckte ich mich auf den steinigen Grund, lag nur noch bedeckt von der Hoffnung, dass er mich nicht töten wolle und war bereit, mich dem Verfolger auf Gedeih und Verderb zu er-geben. Langsam aber sicher näherte er sich meinem Körper, sein scheußlicher roter Kopf war schon ganz nahe. Zwischen zwei großen Kieseln direkt unterhalb meines Lagers wurde ich seiner, von häss-lichen Rissen übersäten Gestalt gewahr. Ringe von mit Krampfadern durchzogenem Bindegewebe bildeten in unregelmäßigen Abständen Auswüchse an seinem Körper, und ein elektrisierender Geruch stieg aus seiner Richtung in meine Nase. Oh Gott, durchfuhr es mich, er suchte eine Partnerin, eine Frau, jung wie ich! Was mochte wohl schlimmer sein, in die Fänge der Raubtiere gehetzt oder von diesem monströsen Kerl genommen zu werden?
In diesem Augenblick geschah etwas Schreckliches. Der schmutzige Morgennebel füllte sich mit urplötzlich einsetzendem langgezoge nem, kehligem Schreien, das zu einem fanfarenartigen Trompetenchor anschwoll und schließlich zigfach beantwortet durch den aufsteigenden Dunst, das pure Entsetzen mit sich führte. Ich wusste, was es bedeutete und lag starr vor Grauen. Unsere Feinde, scheußliche Bestien, bereite-ten sich ganz in unserer Nähe auf die Jagd vor. Auf uns. Auf mich.
Von meinem Punkt aus konnte ich nicht weit sehen, aber das Beben der Erde, das Rauschen in der Luft und das fürchterliche Schlagen und Hacken ihrer Waffen kündeten von einem grausamen Schauspiel. Mein ehemaliger Gefährte war aus meinen Augen verschwunden und ich bot mich auf der flachen Steinplatte wie ein Opfer auf dem Präsentierteller dar. Wie von Sinnen stürzte ich mich unter Aufbietung der letzten, von Todesängsten mobilisierten Kräfte seitwärts in einen hohle Gasse, vorbei am Ort des Gemetzels und suchte den rettenden Spalt zwischen zwei größeren Gesteinsbrocken zu erreichen. Sie hatten mich entdeckt, ich spürte ihren eiskalten emotionslosen Raubtierblick und unwillkür-lich sah ich mich nach ihnen um. Meine nächtliche Bekanntschaft und späterer Verfolger lag in wilden Zuckungen und sich windend, als glitschiger Haufen von Fleischfetzen hinter mir. Regelrecht in Stücke gerissen, verschlangen ihn gierige Schnäbel bei lebendigem Leib, Teil für Teil. Der rote, entstellte Kopf aber tanzte, getrennt vom restlichen Körper, unverletzt über dem ekeligen Brei aus Blut und Eingeweide, der sich mit nasser Erde mischend, von den Sporen der darin herum-trampelnden Fresser ringsum an den Steinen verschmiert wurde.
Ich weiß nicht mehr, wie lange ich in der steinernen Höhle zubrachte und wie mir die Flucht gelang. Das Grauen dieses Tages hat meine Erinnerungen hinter einem gnädigen weißen Nebel verborgen, und das Entsetzen trieb mich aus dieser fürchterlichen Gegend weit fort.
Heute lebe ich am
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