WELTENTOR 2013 - Fantasy (German Edition)
ich leider darauf bestehen, Ihnen mitzuteilen, dass Sie solange zu spielen haben, wie Seine Majestät es wünscht.“ Mit den Rüschen an den Ärmeln, der ohne Zweifel überaus teuren Weste, tupfte der Kanzler den Schweiß von seinen Pausbäckchen.
Wessen Kopf zuerst rollen würde, sollte es ihr nicht gelingen, die Hof -gesellschaft angemessen zu unterhalten, war Vanna vollkommen klar. Als König der Beamten gehörten Nerven aus Stahl, ebenwelche dem Ersten der Kanzler gerade davonschmolzen, zur Pflicht. Der zweite rollende Kopf bereitete ihr im wahrsten Sinne des Wortes mehr Kopf-zerbrechen.
Vanna nickte.
Der Kanzler wandte sich, von einer Sorge befreit, ab und suchte so-gleich die nächste, indem er die Dienerschaft aufmerksam bei der Arbeit beaufsichtigte. Vanna nutzte den Moment und griff in den Ausschnitt ihres Abendkleids. Normalerweise hasste sie Kleider, sie behinderten Vanna beim Spielen, insbesondere beim Greifen der Saiten, aber der Anlass erforderte nun einmal eine gewisse Etikette. Der Stoff war an Taille und Brust viel zu eng geschnürt und kratzte bereits so stark auf der Haut, als säße sie seit Sonnenuntergang in Brennesseln. Wenigstens war das Kleid in ein tiefes Blau getüncht worden, sodass Vanna später in der Nacht kaum auffallen würde.
Vanna fischte geschickt die klebrige Fruchtkapsel aus dem Ausschnitt und schluckte sie herunter. Schlafmohn in getrockneter Form regte aufgrund seines grün- und braunfarbenden Milchsaftes nicht nur über -haupt kein bisschen den Appetit an, er klebte darüber hinaus in jedem Backenzahn fest. Vanna würgte. Oh Morpheus, dachte sie, verschon mich heute vor dem Delirium!
Eine Glocke läutete und der Kanzler reagierte wie ein abgerichteter Hund auf das Signal. „Maestra, es ist so weit. Wenn ich bitten dürfte.“
Vanna nahm ihren Lautenkasten und folgte dem obersten Beamten in den Thronsaal. Sie spürte sofort die Wirkung von Schlafmohn. Nebel legten sich auf all ihre Sinne, das Gerede der Adeligen drang nur dumpf an ihre Ohren, der Geruchssinn schwand, als hätte sie eine Erkältung, und ihre Hände schienen in dicke Wollhandschuhe gepackt. Bevor sich Vannas Geist noch ganz von ihrem Körper löste, erinnerte sie sich an die Worte ihrer Mutter. Wer nicht durch Nebel geht, bleibt blind.
Vanna brachte alle Anstrengung auf, um den Thronsaal in jeder Einzel -heit zu erfassen. Zunächst überraschte sie die Größe des Saals, der zugleich auch Ball- und Speisesaal sein musste. In der Mitte saß die Hofgesellschaft an einem Tisch, wie auf einer Insel gestrandet, und um sie herum gähnte die Weite des Meeres aus königlicher Herabwürdi-gung. Die Fürstenfamilie selbst thronte am Kopfe des Raumes, selbst-verständlich auf einer Art Podest. Fürst Dornfahl schien zu wissen, wie man Macht ausübte und vor allem, wie man sie andere wirklich spüren ließ.
Neben den Festerläden hingen bestickte Wandteppiche, die Kriegs -bilder zeigten. Abgetrennte Gliedmaßen und viel Blut beherrschten die Szenerien, die wiederum aufgrund der Größe jener Wandteppiche die Gesellschaft von allen Seiten bedrohlich einferchten.
Zahlreiche Kronleuchter erhellten den Saal. An jeder Seite warfen Ga rdisten gerade Schatten in den Raum. Die Leibgarde des Fürsten trug das Wappen des Fürstentums Kolvenstätt, zwei einander beißende Wölfe, und Hellebarden, die von gewetzter Schärfe zeugten.
Der Kanzler führte Vanna an die lichte Stelle zwischen Hofgesellschaft und Fürstenfamilie. Während der Kanzler sich geflissentlich vor Dorn -fahl verbeugte, nahm sich Vanna die Zeit, ihren Lautenkasten behutsam abzusetzen. Das Geräusch von Holz auf poliertem Marmorstein mar-kierte den plötzlichen Anfang einer unangenehmen Stille. Die Adeligen verstummten und alle im Saal schienen die Reaktion des Fürsten abzu-warten. Dornfahl saß leicht vorn übergebeugt, die Hände in die vergol-deten Lehnen seines Throns gekrallt. Ein Blick zwischen Berechnung und Irrsinn zeichnete sein kantiges Gesicht. Er legte den Kopf ein wenig schräg, als erwarte er zuerst eine Antwort. Aber niemand sagte etwas. Langsam lehnte Dornfahl sich zurück und schürzte voller Ver-achtung die Lippen. „Euer Durchlauchtigst, Fürst Dornfahl II., Herzog von Kolvenstätt“, begann der Kanzler die Ehrerbietung gegenüber seinem Herren und setzte mit speichelleckerischen Schmeicheleien nach. Vanna ignorierte ihn einfach. Irgendetwas passte nicht ins Bild, als sie die Fürstenfamilie beobachtete, die sich bis auf
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