WELTENTOR 2013 - Fantasy (German Edition)
besser, wenn er sie noch heute Nacht darauf ansprach.
Gewinnend lächelte er Kessia zu. „Wir sehen uns nachher.“
Seinen Versuch, sie zum Abschied noch einmal zu berühren, verhinder -te sie, indem sie ihn wortlos stehen ließ.
Auf dem Rückweg zu seiner Hütte grübelte Fyrsar, womit Bilan Kessia nur so plötzlich gegen ihn aufgehetzt haben konnte. Bei diesen Gedan -ken war ihm gar nicht wohl zumute. Dann fiel ihm ein, dass Bilan ja seit Tagen schon fort sein sollte. Erleichtert lachte er in der Stille so laut auf, dass er selbst darüber erschrak. „Dieses Mädchen bringt mich noch um meinen Verstand“, murmelte er. Der Klang dieses Satzes faszinierte ihn so, dass er ihn immer wieder aussprechen musste, ihn in seinem Mund hin und her wendete wie einen glatten Kieselstein. „Bringt ... Mädchen ... meinen ...“
Je länger er ging , je mehr fielen Nebel und Dunkel herab. Eigentlich war es nur ein kleiner Fußweg bis zu der Kate, aber heute zog er sich dahin. Hätte Fyrsar ihn nicht schon so oft zurückgelegt, er hätte ge-glaubt, er wäre mehrmals im Kreis gegangen. Eine jähe Erschöpfung bemächtigte sich seiner. Wer raunte da etwas von einem Mädchen? „Kessia“, rief er unwillkürlich. Fyrsar sah so hektisch hinter sich, dass er hinfiel. Moosweich schmiegte der Waldboden sich an seine Wange. Liegen bleiben, nur einen Augenblick ... Welche Richtung er nehmen musste, wusste er nicht mehr zu sagen.
Da entdeckte er weit vor sich das vertraute blaue Flimmern. Seine Fee kam ihm zu Hilfe und wies ihm den Weg!
Fyrsar rappelte sich auf. In der Ferne war der Schein verloschen, dafür erhellten kalte Funken den Pfad, die glühwürmchengleich aufblitzten und verschwanden. Er stolperte vorwärts, von irgendwo her floss ihm neue Stärke zu.
Endlich tat sich die Lichtung vor ihm auf. Seine Hütte erahnte er mehr als er sie sah. Der Nebel war nun so dicht, dass er sie ohne Führung wohl verfehlt hätte. Mit klammen Fingern tastete er nach dem Tür -riegel. Erst jetzt bemerkte er, wie seine Zähne vor Kälte aufeinander schlugen.
Feuchte Wärme wogte ihm entgegen, obwohl das Feuer längst erkaltet war. Seine Fee sorgte gut für ihn, sie würde nicht zulassen, dass es ihm an irgendetwas mangelte. Fyrsar taumelte hinüber zu der Kastenfalle. Das Wolltuch war zu Boden geglitten.
Statuenhaft saß die Fee noch immer da, die Flügel ordentlich gefaltet, die Arme verschränkt und die Beine untergeschlagen. Ihr Licht war zurück und pulsierte jetzt schneller, in einem irritierend unvorherseh-baren Rhythmus. Warum fand ich sie nur zunächst so abstoßend , fragte sich Fyrsar. Sie ist von ganz eigener andersartiger Schönheit. Ihr Lächeln hieß ihn willkommen, er konnte nicht anders als es zu erwidern. Auch ihre Augen, die bis jetzt nur aus dunklen Höhlen bestanden hatten, waren nun voller Licht. Licht, das ihn einlud, das ihn wiegte und verschlang.
Bilan war froh über die Begleitung von Meister Morva. Sein eigener Einfluss auf seinen Bruder war schon immer gering gewesen. In den letzten Jahren legte Fyrsar ein Verhalten an den Tag, als verbiege sich sein Charakter immer mehr und das hatte einen Keil zwischen die Geschwister getrieben. Wenn Fyrsar wirklich so krank und eigenartig ve rwirrt war, wie Kessia berichtet hatte, würde die Anwesenheit Morvas sowie dessen Heilkunst von großem Nutzen sein.
Ich war erschrocken über Fyrsars Aussehen, gingen Bilan Kessias Worte noch einmal durch den Sinn. Die Freude über die Rückkehr zu seiner Liebs-ten war durch ihre Erzählung getrübt worden. Ich hatte ihn nur ein paar Tage nicht gesehen. Du weißt, dass er mich trotz seines gewinnenden Aussehens immer etwas beunruhigt hat. Aber nicht in solchem Maße. Im ersten Moment habe ich ihn kaum erkannt! Wie kann ein junger Mann so schnell verfallen? Er war ausgemergelt und schwankte, die Augen bestanden nur aus riesigen Pupillen, seine Blicke wanderten unstet hin und her. Ein Ausschlag hatte ihn befallen, wie ich ihn noch nie zuvor gesehen hatte. Und dieser Geruch nach Fäulnis, als käme er gerade-wegs aus dem Sumpf!
Morva hatte sich sofort bereit erklärt, Bilan zu Fyrsars Behausung zu begleiten. Bilan befürchtete daher, dass der Zaubermeister Fyrsar eben-falls nicht nur für bezecht hielt. Dennoch wollte sein Lehrherr keine Vermutung über die mysteriöse Krankheit äußern, die er Bilans Ein-druck nach sehr wohl hegte.
Die Herbstsonne schien grell herab und Bilan hieß den lückenhaften Schatten des Waldes willkommen.
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