Weltkrieg der Waehrungen
Bundesrepublik erklärte am 7. Mai seinen Rücktritt und machte einem Mann Platz, der dafür prädestiniert schien, das Staatsschiff in solch schwierigen Zeiten zu lenken: Helmut Schmidt.
Am 16. Mai 1974 zog der frühere Superminister und »Retter Hamburgs« ins Bonner Kanzleramt ein. Schmidt war eine Art Volksheld, weil er im Februar 1962 bei der schweren Sturmflut unter Ãberschreiten seiner Kompetenzen als Polizeisenator (und formal gesehen unter Bruch des Grundgesetzes) militärische Hilfe angefordert und dadurch Tausenden Menschen das Leben gerettet hatte. Im Zweiten Weltkrieg war der Sozialdemokrat Wehrmachtsoffizier gewesen 46 , nun traf er in Giscard auf jemanden, der sich als junger Mann dem Widerstand gegen die deutsche Besatzung in Frankreich angeschlossen hatte. Ein inniges Verhältnis der beiden war also nicht zwangsläufig zu erwarten. Doch es kam anders: Schnell entwickelte sich zwischen beiden Männern ein produktives Arbeitsverhältnis. Ihre Männerfreundschaft sollte die europäische Einigung so stark voranbringen wie seit den Fünfzigerjahren nicht mehr und auch der europäischen Währungspolitik entscheidende neue Impulse geben.
Trotz der Schwierigkeiten der Siebzigerjahre befanden Giscard dâEstaing und Schmidt, dass Europa koordinierte Wechselkurse nötiger habe denn je. Für den Franzosen war ein wichtiger Antrieb, eine erneute Dominanz des Dollar zu verhindern, aber natürlich auch, den ostrheinischen Nachbarn einzubinden. Letzteres war aus Pariser Sicht so stark geboten wie noch nie seit 1945. Durch das anhaltende Wachstum der Nachkriegszeit war Deutschland ökonomisch zu einem Koloss herangewachsen. Gleichzeitig schien die deutsche Ostpolitik die Gefahr heraufzubeschwören, dass die Bonner Republik eines Tages vielleicht versucht sein könnte, eine allzu eigenständige Bündnispolitik zu betreiben. Helmut Schmidt sah koordinierte Wechselkurse als entscheidenden Schritt auf dem Weg zu einem bundesstaatlichen Europa und als wichtiges Element seiner Wirtschaftspolitik.
Der Bundeskanzler war kein Stabilitätsfanatiker. Immerhin stammte von ihm der Ausspruch: »Lieber fünf Prozent Inflation als fünf Prozent Arbeitslosigkeit« â was sich im Laufe der Siebzigerjahre als falsche Alternative herausstellen sollte. Fünf Prozent Inflation konnten leicht mit fünf Prozent Arbeitslosigkeit einhergehen. Allerdings bereiteten Schmidt die groÃen Unterschiede zwischen den europäischen Ländern in der Geldpolitik Sorgen. Er wollte darauf hinwirken, dass sich die Partner dem Primat des stabilen Geldes zumindest annäherten. Derweil arbeitete Paris weiter angestrengt daran, mehr Einfluss auf die deutsche Geldpolitik zu erlangen. Nach dem endgültigen Scheitern der »Schlange« 1978 beeilten sich Giscard und Schmidt, einen neuen monetären Verbund folgen zu lassen: das Europäische Währungssystem (EWS). Das ursprünglich bilateral formulierte Abkommen wurde im Juli 1978 vom Europäischen Rat übernommen und trat am 13. März 1979 in Kraft. Der neue Verbund sollte weitaus länger halten als sein Vorgänger. Aber auch ihm sollte eine äuÃerst wechselhafte Geschichte beschieden sein.
Als Problem des Vorgängergefüges hatten vor allem die Franzosen stets moniert, dass Länder mit starker Währung nicht immer hinreichend eingegriffen hatten, um schwächere Währungen zu stützen. Die Gründungsakte des EWS verpflichtete Hartwährungsländer nun auf eben diese Hilfe und räumte ihnen zu diesem Zweck das Recht auf eine unbegrenzte kurzfristige Kreditaufnahme ein. Die beteiligten Währungen durften, analog zu der früheren Regelung von Bretton Woods, in einer Bandbreite von 2,25 Prozent schwanken. Im Gegensatz zur Schlange waren von Anfang an alle Regierungen beteiligt. Sogar die »Dissidenten« GroÃbritannien und Italien konnten dank einiger Zugeständnisse für das EWS gewonnen werden. Der notorisch flatterhaften Lira wurde sicherheitshalber eine Bandbreite von sechs Prozent zugestanden. Man wollte realistisch bleiben. Zur Erleichterung der Zusammenarbeit und als symbolische Verneigung vor dem groÃen Ziel einer gemeinsamen Währung wurde die Europäische Währungseinheit eingeführt. Nicht zufällig erinnerte deren Akronym »ECU« (die Abkürzung für »European Currency Unit«) an eine französische Königsmünze des Mittelalters,
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