Weltraumpartisanen 19: Astropolis
gleich, wo Sie sich auch befinden. Das macht Ihre Phantasie einseitig. Aber das Leben ist vielschichtig. Angenommen, das Tarassenkosche Serum wäre tatsächlich verbessert worden – man hätte es zu tun mit einer wissenschaftlichen Revolution. Alle biologischen Regeln wären außer Kraft gesetzt. Aber« – sein Gesicht nahm plötzlich einen bedauernden Ausdruck an – »ich bin nun einmal ein ungläubiger Thomas, und deswegen stehe ich auf der Seite von Major Bold.«
Das Geschwätz des Arztes ging mir auf die Nerven. Knappe hundert Meter von mir entfernt hatte ich ein bekanntes Gesicht erspäht.
Bellinda Bell stand auf dem Podest ihres Aufnahmewagens und blickte hoch zum Cockpit, dessen Verglasung in der Sonne wie ein brennender Spiegel leuchtete; sie blickte dorthin, wo der Mann, dem sie angehörte, seinen einsamen, verantwortungsvollen Dienst versah – und mehr als der ganze Tumult beeindruckte mich die ungeheure Traurigkeit, die aus ihrer Haltung sprach. Aus irgendeinem Grunde hatte ich die Warrensche Lehre nie praktisch zu Ende gedacht – wahrscheinlich, weil sie mich, der sein Leben mehr unter den Sternen verbrachte als daheim, völlig kalt ließ; zum Teil wohl aber auch, weil ich sie bislang für eine jener modischen Philosophien gehalten hatte, die ebenso rasch wieder aus der Diskussion verschwanden, wie sie aufkamen. Auf jeden Fall hatte ich nie zu Ende gedacht, was die mit Hilfe der Tarassenkoschen Spritze konsequent verwirklichte Warrensche Lehre für eine junge, liebende Frau bedeuten mußte, die sich von der allgemeinen Hysterie nicht anstecken ließ.
Ich benötigte fünf Minuten, um mich zum Aufnahmewagen durchzudrängen.
»Bellinda, Sie dürfen sich nicht ins Bockshorn jagen lassen!«
Ihre Augen waren schwarz vor Furcht.
»Ich habe mit mir gerungen, Commander. In den letzten Tagen habe ich mir immer wieder die Frage vorgelegt: Kann es denn sein, daß Jaroslaw und ich allein recht haben und alle diese Menschen, die in Warren ihren Erlöser sehen, unrecht? Muß ich nicht umdenken?«
Ich faßte ihre Hand.
»Und zu welchem Entschluß sind Sie gekommen, Bellinda?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Ich pfeife auf die tausend Jahre, Sir, ich pfeife auf die Unsterblichkeit, die aus uns Monster macht – ohne eine Ahnung von dem, was Liebe ist! Jaroslaw und ich – wir wollen eine ganz normale Familie sein.«
Wir hatten außer acht gelassen, in welcher Umgebung wir uns befanden. Auch andere hatten Bellindas Worte gehört – und die verzerrten Gesichter der Menge wandten sich uns zu.
Eine hagere Frau mit schmalem, bitterem Mund stieß ihre Hand wie einen Speer in die Höhe.
»Da ist noch so eine, die sich für etwas Besseres hält!«
Ihre schrille Stimme löste die Lawine aus. Die Menge drängte auf uns ein, und mir war klar, daß ich allein gegen die geschwungenen Fäuste nichts ausrichten konnte. Mich selbst mochte die Uniform, die ich trug,vielleicht vor dem Äußersten schützen, aber über Bellinda würden sich Wut und Haß der aufgestachelten Leute entladen. Ihr Leben war in Gefahr.
Die Gendarmen hatten mit dem Abtransport der Gefangenen genug zu tun; sie schenkten dem sich anbahnenden Drama in der Mitte der Plaza Humanitas keine Beachtung. Von ihnen war keine Hilfe zu erwarten.
Es war eine verzweifelte Situation. Das verfluchte Weib kreischte: »Wer ist sie denn, diese Schlampe, daß sie es sich erlauben darf, Kinder in die Welt zu setzen? Man sollte sie zwangsimpfen, diese impertinente Person!«
Die Frau entblößte plötzlich den linken Oberarm.
»Seht mich an! Ich hab’s hinter mir! Und jetzt bin ich unsterblich!«
So ähnlich mochten die entmenschten Weiber gekreischt haben, als während der Französischen Revolution die Köpfe in den Bastkorb mit den Sägespänen rollten: Ein besserer Vergleich fällt mir nicht ein. Der große Platz von Astropolis hatte sich im Handumdrehen in ein Tollhaus verwandelt.
Bellinda schrie auf.
»Sir!«
Der Mob drängte auf uns ein. Ich zerrte Bellinda von der Plattform, stieß sie in den Wagen, stieg selbst mit ein und verriegelte die Tür.
Die Menge ließ ein Wutgeheul hören. Dann machten sie sich über den Aufnahmewagen her. Auf einmal war auch ein Brecheisen zur Hand.
»Bellinda«, sagte ich, »verlieren Sie jetzt um Himmels Willen nicht die Nerven. Sie haben, wie ich sehe, ein Funkgerät im Wagen. Ist es Ihnen möglich, mir eine Verbindung zum Cockpit herzustellen?«
Metall dröhnte auf Metall.
Bellinda starrte mich aus verstörten Augen
Weitere Kostenlose Bücher