Weltraumzirkus d'Alembert - 1-5 - Die Geheim-Agenten des Imperiums
am eigenen Leibe zu erfahren, waren zwei verschiedene Dinge. Die Tatsache des unterirdischen Lebens konnte man verwinden, solange man im Inneren eines Gebäudes war, denn die Menschen sind nun einmal gewöhnt, über sich eine Decke zu haben.
Ungewöhnlicher war es schon, ein Dach über dem Kopf zu haben, wenn man ›im Freien‹ war. Die breiten Korridore mit ihrem dichten Verkehr glichen den Straßen jeder zivilisierten Welt der Galaxis, bis auf die Tatsache, daß sie von einer soliden Steindecke überdacht waren. An den wichtigen Kreuzungen, an denen die Decke sich zu einer Kuppel von fünfzehn oder zwanzig Meter Höhe über dem Boden erhob, war es nicht so schlimm, aber in den Tunnels, welche die Hauptkavernen miteinander verbanden, senkte sich die Decke stellenweise auf weniger als einen Meter über die Fahrzeuge, welche die Straßen befuhren. Diese Situation war dazu angetan, selbst beim Beherztesten Klaustrophobie zu erzeugen, und Yvette mußte die Erfahrung machen, daß sie in den ersten Tagen stark gegen die Angst ankämpfen mußte, die Decke könne ihr jeden Moment auf den Kopf fallen.
Dazu kam die Tatsache, daß Vesa ein Labyrinth darstellte, das selbst die vorzüglichsten analytischen Köpfe hinters Licht führen konnte. Ein Labyrinth von Tunnels, von denen einige kilometerweit verliefen, verband eine Reihe von großen und kleinen Kavernen, die scheinbar aufs Geratewohl nach einem Schema angelegt waren, das nur von den lange Ansässigen durchschaut wurde. Yvette verlor die Orientierung in dem Augenblick, als sie in einem der allgegenwärtigen Jits, die als Massentransportmittel dienten, von ihrem Hotel wegfuhr. Der Fahrer hatte von dem Kasino, das sie besuchen wollte, noch nie etwas gehört, deswegen setzte er sie vor einem anderen ab. »Die sind ohnehin alle ähnlich«, lautete sein philosophischer Kommentar. »Sie können Ihr Geld in dem einen ebensoschnell loswerden wie im anderen.« Das ursprünglich gesuchte Etablissement sollte sie niemals finden.
Nach zwei Tagen des Umherstreifens kam sie zu dem Schluß, daß der Fahrer Unrecht hatte. Gewiß, für den oberflächlichen Beobachter sahen alle Kasinos gleich aus – grelle Räume voll greller Menschen, helle Lichter aus allen Richtungen, laute Musik, die durch die Atmosphäre gepumpt wurde, vermischt mit dem aufdringlichen Rufen von Ausrufern, welche die Spieler in diese oder jene weniger belebte Ecke locken wollten. Der Geruch von Räucherkerzen, Drogen, Zigaretten und tausenderlei individueller Parfüms attackierte die Geruchsnerven. Mehrere Male wurde Yvette von Heimweh übermannt, denn der Duft glich jenem der Hauptstraße auf dem Rummelplatz ihres geliebten Zirkus, obwohl diese Budenstraße viel weniger hektisch und viel harmloser war.
Der aufmerksamere Beobachter jedoch konnte geringfügige Unterschiede zwischen den verschiedenen Spieletablissements feststellen. Einige waren billiger und sprachen vor allem Touristen mit kleinerem Budget an, während andere superschick waren und ihre Exklusivität geradezu hinausschrien. Es gab Kasinos, die eher das Reservat älterer Ehepaare waren, während andere sich entschieden als Vergnügungsstätten junger Leute auswiesen, die allein kamen und sich amüsieren wollten. Einige Kasinos waren ordinär und aufdringlich, während andere – für Vesa – fast reserviert und gesetzt wirkten. Jedes Kasino hatte eine eigene typische Atmosphäre und einen eigenen Besuchertyp. Doch gleichgültig, wohin sie ging, von den elegantesten Clubs bis zu den miesesten Höhlen, es war überall gedrängt voll.
Hunderte, ja Tausende Menschen drängten sich an Orten, die schon mit der Hälfte überfüllt gewesen wären. Das Spielfieber war eine geradezu greifbare Erscheinung, ein Wahn, der hier jeden ansteckte. Es schien, als wollten die Menschen, die viel Geld aufgewendet hatten, um hierherzukommen, jetzt auch noch schleunigst den Rest loswerden. Manche der fanatischsten Spieler konnten es einen Tag oder sogar mehr ohne Essen und Schlafen aushalten.
Die Größe ihres Problems kam Yvette allmählich zu Bewußtsein. In dieser gesichtslosen Masse menschlicher Leiber konnten fünfunddreißig Menschen pro Tag leicht verschwinden, ohne daß jemand Notiz davon nahm. Sie wurden, so rasch sie verschwanden, von ebenso gesichtslosen Leibern ersetzt, die das gleiche Schicksal erwartete. Yvette hatte einige Zeit auf der Erde verbracht – einem der am dichtesten bevölkerten Planeten des Imperiums – und war der Meinung, sie wüßte,
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