Wem die Stunde schlaegt
Geruch schnuppern, wenn sie vorübergehen, und mir den Kuß ersparen. Ich fürchte mich vor den Bohnenkeimen genauso wie Rafael.« »Du mußt eine küssen«, sagte Pilar. »Du mußt eine küssen, Inglés, damit du weise wirst, und dann, mit diesem Geruch in der Nase, gehst du in die Stadt zurück, und wenn du einen Mülleimer siehst voll verwelkter Blumen, dann stecke deine Nase tief hinein und sauge den Geruch ein, damit er sich mit den anderen Gerüchen vermischt, die du bereits in deinen Nasengängen hast.«
»Das habe ich jetzt getan«, sagte Robert Jordan. »Was waren es für Blumen?«
»Chrysanthemen.«
»Weiter!« sagte Robert Jordan. »Ich rieche sie.«
»Dann«, fuhr Pilar fort, »ist es wichtig, daß es ein Herbsttag ist mit Regen, oder wenigstens ein bißchen Nebel, oder auch ein früher Wintertag, und nun gehst du weiter durch die Stadt und die Calle de Salud hinunter und riechst, was es dort zu riechen gibt, wenn sie die casas de putas ausfegen und die Abwascheimer in den Rinnstein gießen, und wenn dieser Duft verlorener Liebesmüh, süß vermischt mit dem Geruch des Seifenwassers und der Zigarettenstummel, nur von ferne deine Nasenlöcher streift, dann sollst du weitergehen zum Jardin Botánico , wo in der Nacht die Mädchen, die zu Hause nicht mehr arbeiten können, an dem Eisengitter des Parks und an den spitzen Staketen und auf dem Trottoir ihr Gewerbe verrichten. Dort, im Schatten der Bäume, gegen das eiserne Gitter gelehnt, machen sie alles, was ein Mann nur verlangen kann, von den einfachsten Anforderungen gegen einen Lohn von zehn Céntimos bis zu einer Peseta für den erhabenen Akt, für den wir geboren sind, und dort, auf einem verwelkten Blumenbeet, wo man das welke Zeug noch nicht herausgerupft und noch keine neuen Blumen angepflanzt hat und wo man also viel weicher liegt als auf dem Pflaster, dort wirst du einen vergessenen Sack finden, der nach nasser Erde riecht und nach verwelkten Blumen und nach den Dingen der vergangenen Nacht. In diesem Sack ist die Essenz von allem enthalten, die tote Erde und die toten Blumenstengel und die verfaulten Blüten und der Geruch, der zugleich Tod und Geburt des Menschen ist. Diesen Sack wirst du dir um den Kopf wickeln und versuchen, Luft zu schöpfen.« »Nein.«
»Ja«, sagte Pilar, »du wirst dir diesen Sack um den Kopf wickeln und zu atmen versuchen, und dann, wenn du keinen der früheren Gerüche verloren hast, und wenn du tief einatmest, wirst du den Geruch des nahen Todes spüren, so wie wir ihn kennen.«
»Schön«, sagte Robert Jordan. »Und du behauptest, als Kaschkin hier war, hat er so gerochen?«
»Ja.«
»Na«, sagte Robert Jordan ernst, »wenn das stimmt, dann ist es ein Glück, daß ich ihn erschossen habe.«
»¡Olé!« sagte der Zigeuner, die anderen lachten.
»Sehr gut«, sagte Primitivo. »Das wird mir für ein Weilchen genügen.«
»Aber Pilar«, sagte Fernando. »Du kannst doch wohl nicht von einem gebildeten Menschen wie Don Roberto verlangen, daß er solche widerlichen Sachen macht.«
»Nein«, sagte Pilar.
»Das alles ist ja äußerst abstoßend.«
»Ja«, sagte Pilar.
»Du erwartest doch nicht von ihm, daß er diese herabwürdigenden Handlungen wirklich ausführt?«
»Nein«, sagte Pilar. »Willst du jetzt nicht schlafen gehen?«
»Aber Pilar –« fuhr Fernando fort.
»Halt's Maul, ja?« schrie Pilar und war plötzlich ganz böse. »Mach dich nicht lächerlich, und ich werde mich auch nicht lächerlich machen und mit Menschen reden, die nicht verstehen, wovon man spricht!« »Ich muß gestehen, daß ich es nicht verstehe«, begann Fernando.
»Laß deine Geständnisse und bemühe dich nicht erst, es zu verstehen«, sagte Pilar. »Schneit es immer noch?«
Robert Jordan ging zum Eingang der Höhle, schlug die Decke zurück und blickte hinaus. Draußen war die Nacht hell und kalt, und es schneite nicht mehr. Er sah zwischen den Baumstämmen den weißen Schnee, und er blickte durch das Geäst zum Himmel auf, der jetzt ganz klar war. Und die Luft, die er einatmete, war scharf und kalt.
Wenn El Sordo heute nacht Pferde stehlen geht, wird man seine Spuren sehen, dachte er.
Er ließ die Decke fallen und trat in die verräucherte Höhle zurück. »Klares Wetter«, sagte er. »Der Schneesturm ist vorbei.«
XX
Nun lag er in der Nacht und wartete auf das Mädchen. Es wehte kein Wind mehr, und die Kiefern standen still in der Nacht. Ihre Stämme ragten aus dem Schnee, der überall den Boden
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