Wem die Stunde schlaegt
Situation hinter sich hatte. An der Stärke seines Redebedürfnisses konnte er stets ermessen, wie schlimm die Sache vorher gewesen war.
»Eine gute Camouflage, wie?« sagte er.
»Gut!« sagte Agustín. »Hol's der Teufel samt den Faschisten!
Wir hätten sie alle vier erledigen können. Hast du's nicht gesehen? « sagte er zu Anselmo.
»Ich habe es gesehen.«
»Du!« sagte Robert Jordan zu Anselmo. »Du begibst dich jetzt auf deinen gestrigen Posten oder an eine andere gute Stelle, die du dir aussuchen kannst, um so wie gestern die Straße zu beobachten und alle Bewegungen zu rapportieren. Wir haben uns damit ohnedies schon sehr verspätet. Bleib bis zum Dunkelwerden dort. Dann kommst du hierher zurück, und wir schicken einen anderen hin.«
»Aber die Spuren, die ich hinterlasse?«
»Geh unten entlang, sobald der Schnee weggeschmolzen ist. Die Straße wird kotig sein. Sieh nach, ob viele Lastautos gefahren sind und ob du Tankspuren in dem weichen Schmutz finden kannst. Mehr läßt sich nicht feststellen, solange du nicht wieder deinen Posten bezogen hast.«
»Gestattest du?« fragte der Alte.
»Gewiß.« »Gestatte: Ist es nicht besser, wenn ich nach La Granja gehe und mich dort erkundige, was in der Nacht passiert ist, und dort jemanden finde, der die Straße so beobachtet, wie du es mir gezeigt hast? Der könnte dann abends kommen und Bericht erstatten, oder noch besser, ich könnte wieder nach La Granja gehen und mir den Bericht holen.«
»Hast du keine Angst, Kavallerie zu treffen?«
»Wenn der Schnee weg ist, nicht.«
»Gibt es jemanden in La Granja, der dazu fähig ist?«
»Ja, dazu ja. Ich würde eine Frau nehmen. Wir haben mehrere zuverlässige Frauen in La Granja.«
»Das glaube ich«, sagte Agustín. »Ja, ich weiß es sogar, und mehrere, die uns auch noch andere Dienste leisten. Du willst nicht, daß ich hinuntergehe?«
»Laß den Alten gehen! Du verstehst das MG zu bedienen, und der Tag ist noch nicht vorüber.«
»Ich gehe, sowie der Schnee geschmolzen ist«, sagte Anselmo, »und er schmilzt jetzt sehr schnell.«
»Was hältst du von ihrer Chance, Pablo zu fangen?« fragte Robert Jordan Agustín.
»Pablo ist schlau«, sagte Agustín. »Fängt man ohne Hunde einen klugen Hirsch?«
»Manchmal ja«, sagte Robert Jordan.
»Aber nicht Pablo«, sagte Agustín. »Freilich, er ist nur noch der schäbige Rest von dem, was er früher war. Aber es ist kein Zufall, daß er noch am Leben ist und gemütlich in den Bergen sitzt und sich zu Tode saufen kann, während so viele andere an einer Wand gestorben sind.«
»Ist er wirklich so schlau, wie man behauptet?«
»Noch viel schlauer.«
»Hier scheint er sich nicht sehr bewährt zu haben.« »¿Cómo que no? Wenn er nicht tüchtig wäre, dann wäre er gestern nacht ein toter Mann gewesen. Mir scheint, du verstehst nichts von Politik, Inglés, und auch nichts vom Guerillakrieg. In der Politik und im Guerillakrieg ist das erste und wichtigste, sein Leben zu retten. Schau nur, wie er sich gestern nacht das Leben gerettet hat. Und was für Dreck er von dir und von mir hat schlucken müssen!«
Jetzt, da Pablo sich wieder an den Aktionen der Gruppe beteiligte, wollte Robert Jordan nichts gegen ihn sagen, und er bereute auch seine Bemerkung über Pablos Untüchtigkeit, kaum daß er sie geäußert hatte. Er wußte selbst, wie schlau Pablo war. Pablo hatte sofort gemerkt, was an der Brückengeschichte nicht stimmte. Er, Robert Jordan, hatte die Bemerkung nur gemacht, weil er Pablo nicht leiden konnte, und er wußte, daß das falsch war, was er sagte. So was passiert eben, wenn man nach einer nervösen Spannung zu sehr ins Quatschen kommt. Er ließ also das Thema fallen und sagte zu Anselmo: »Am hellichten Tag nach La Granja gehen?«
»Das ist nicht weiter schlimm«, sagte der Alte. »Ich habe ja keine Militärkapelle bei mir.«
»Und auch keine Glocke um den Hals«, sagte Agustín. »Und keine Fahne.«
»Welchen Weg nimmst du?«
»Über die Höhe und dann durch den Wald.«
»Aber wenn sie dich anhalten?«
»Ich habe Papiere.«
»Alle haben wir Papiere, aber die unrichtigen mußt du schnell verschlucken.«
Anselmo schüttelte den Kopf und klopfte auf die Brusttasche seines Kittels.
»Wie oft habe ich mir das schon überlegt!« sagte er. »Und der Gedanke, Papier zu schlucken, hat mir nie gefallen.« »Ich habe mir schon gedacht, man sollte ein bißchen Senf daraufschmieren«, sagte Robert Jordan. »In der linken
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