Wem die Stunde schlaegt
Tasche habe ich unsere Papiere, in der rechten die Faschistenpapiere. Damit kein Irrtum passiert, wenn man's eilig hat.«
Es muß doch brenzlig gewesen sein, als der Führer der ersten Patrouille auf die Felslücke zeigte, denn alle schwatzten sie jetzt drauflos. Viel zuviel schwatzen wir, dachte Robert Jordan.
»Aber schau, Roberto!« sagte Agustín. »Es heißt, die Regierung rutscht immer weiter nach rechts. In der Republik sagt man nicht mehr Genosse, sondern Señor. Kannst du nicht die Taschen vertauschen?«
»Wenn sie weit genug nach rechts gerutscht ist, werde ich die Papiere in die hintere Hosentasche stecken und in der Mitte festheften.«
»Daß du sie bloß in der Hemdtasche behältst!« sagte Agustín.
»Sollen wir diesen Krieg gewinnen und die Revolution verlieren?«
»Nein«, sagte Robert Jordan. »Aber wenn wir diesen Krieg nicht gewinnen, dann gibt es keine Revolution und keine Republik, dann gibt es dich nicht und mich nicht und überhaupt nichts mehr außer dem fürchterlichen carajo .«
»Das sage ich auch«, sagte Anselmo. »Wir müssen den Krieg gewinnen.«
»Und nachher die Anarchisten erschießen und die Kommunisten und die ganze canalla bis auf die guten Republikaner«, sagte Agustín.
»Wir wollen den Krieg gewinnen und gar niemanden erschießen«, sagte Anselmo. »Wir wollen ein gerechtes Regime haben, und alle sollen an den Wohltaten beteiligt sein, soweit sie sich am Kampf beteiligt haben. Und die, die gegen uns gekämpft haben, muß man erziehen, damit sie ihren Irrtum einsehen.« »Wir werden viele erschießen müssen«, sagte Agustín. »Viele, viele, viele.«
Er schlug mit der geballten rechten Faust gegen die Fläche seiner linken Hand.
»Keinen wollen wir erschießen. Nicht einmal die Führer. Wir wollen sie durch Arbeit bessern.«
»Ich wüßte schon die richtige Arbeit für sie«, sagte Agustín, hob etwas Schnee auf und steckte ihn in den Mund.
»Was denn für Arbeit, du böser Mensch?« fragte Robert Jordan.
»Zwei ganz hervorragende Berufe.«
»Nämlich?«
Agustín steckte noch etwas Schnee in den Mund und blickte über die Lichtung zu dem Waldrand hinüber, wo der Kavallerietrupp entlanggeritten war. Dann spuckte er den geschmolzenen Schnee aus. » Vaya. Auch ein Frühstück! Wo bleibt denn der dreckige Zigeuner?«
»Was für Berufe?« fragte Robert Jordan. »Sag's schon, du Schandmaul!«
»Ohne Fallschirm aus einem Flugzeug springen«, sagte Agustín, und seine Augen leuchteten. »Das wäre für die, die uns sympathisch sind. Und die anderen würde ich an Zaunpfähle nageln und rücklings hinunterstoßen.«
»Das sind unanständige Redensarten«, sagte Anselmo. »Auf diese Weise werden wir nie zu einer Republik kommen.«
»Ich möchte gern zehn Meilen weit durch eine Kraftbrühe schwimmen, die aus ihren sämtlichen cojónes bereitet ist«, sagte Agustín. »Wie ich diese vier gesehen habe und mir gedacht habe, jetzt können wir sie abschießen, da war mir wie einer Stute im Pferch, die auf den Hengst wartet.«
»Du weißt aber doch, warum wir sie nicht erledigt haben?« sagte Robert Jordan ruhig. »Ja«, erwiderte Agustín. »Ja. Aber mir war zumute wie einer brünstigen Stute, die man an der Kandare hält. Du weißt nicht, wie das ist, wenn du es nicht selber gespürt hast.«
»Geschwitzt hast du genug«, sagte Robert Jordan. »Ich dachte, es ist Angst.«
»Ja, Angst«, sagte Agustín. »Angst und das andere. Und im Leben eines Menschen gibt es nichts Stärkeres als dieses andere.«
Ja, dachte Robert Jordan. Sie sind nicht wie wir, die wir kalten Blutes zur Waffe greifen. Für sie war's schon immer eine Leidenschaft. Ein besonderes Sakrament, das alte Sakrament, dem sie dienten, bevor sie vom anderen Ende des Mittelmeeres her die neue Religion erhielten, das Sakrament, das sie nie preisgegeben, das sie nur unterdrückt und versteckt haben, um es im Krieg und in der Inquisition wieder hervorzuholen. Das ist das Volk des Autodafé, der ›Glaubenstat‹. Es läßt sich nicht vermeiden, Menschen zu töten, aber ihre Art ist eine andere als die unsere. Und du, dachte er, du bist nie davon angesteckt worden? In der Sierra? Oder bei Usera? Oder während der ganzen Zeit in Estremadura? Oder sonst irgendwann? ¡ Qué va! sagte er zu sich selber. Bei jedem Eisenbahnüberfall.
Hör auf, zweifelhafte literarische Betrachtungen über die Berber und die alten Iberer anzustellen, und gib zu, daß dir das Morden Spaß gemacht hat, wie es
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